Wahlprogramm 2021
https://www.bundestagswahl-bw.de/wahlprogramm-spd-1
Unser Zukunftsprogramm
Das Zukunftsprogramm
der SPD
––Wofür wir stehen. Was uns antreibt.
Wonach wir streben.
Das Zukunftsprogramm der SPD
InhaltSeite > 2SPD-Parteivorstand 2021
1.0. Zukunft. Respekt. Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 3
1.1. Zukunft sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 4
1.2. Respekt erneuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 5
1.3. Europa stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 6
1.4. Zusammenhalt wählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 6
2.0. Eine lebenswerte Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 8
2.1. Zukunftsmission I.
Klimaneutrales Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . > 8
2.2. Zukunftsmission II.
Modernstes Mobilitätssystem Europas . . . . . . . . > 11
2.3. Zukunftsmission III.
Digitale Souveränität in Deutschland und Europa > 13
2.4. Zukunftsmission IV.
Update für die Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . > 17
2.5. Wie wir eine zukunftsfähige Wirtschaft
fördern wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 19
2.6. Wie wir Wissenschaft und Forschung innovativ
und zukunftsfähig halten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 21
2.7. Wie wir unsere Politik finanzieren wollen . . . . . . > 22
2.8. Wie wir regieren wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 25
3.0. Eine Gesellschaft des Respekts . . . . . . . . . . . . . . > 27
3.1. Arbeit wertschätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 27
3.2. Berufschancen erhöhen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 31
3.3. Solidarität erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 33
3.4. Alter absichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 35
3.5. Füreinander einstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 36
3.6 Bezahlbares Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 37
3.7. Gut aufwachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 39
3.8. Gleichstellung verwirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . > 42
3.9. Zusammen leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 45
3.10. Demokratie stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 47
3.11. Kultur fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 48
3.12. Einander besser verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 50
3.13. Sicher leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 51
3.14. Gesundheitsschutz, Jugendschutz und Ent krimi-
na lisierung bestimmen unsere Drogenpolitik . . . > 52
3.15. Natur respektieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 52
4.0. Souveränes Europa in der Welt . . . . . . . . . . . . . . > 55
4.1. Solidarität stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 55
4.2. Sozial-ökologisch wirtschaften . . . . . . . . . . . . . . > 56
4.3. Demokratie erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 58
4.4. Europäische Nachbarschaften pflegen . . . . . . . . . > 59
4.5. Frieden sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . > 61
5.0. Zukunft, Respekt und ein solidarisches Europa –
Leitgedanken für ein neues Jahrzehnt . . . . . . . . > 65
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 1Seite > 3SPD-Parteivorstand 2021
1.0. Zukunft. Respekt. Europa.
Am Anfang des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts stehen wir in Deutschland, Europa und
der Welt vor gewaltigen Aufgaben. Dabei hat die Corona-Krise drängende Fragen unserer Zeit teils
überlagert, teils stärker in den Fokus gerückt:
Gelingt es uns, die Arbeit und den Wohlstand von morgen zu sichern und für Vollbeschäftigung zu
sorgen? Oder finden wir uns damit ab, dass Menschen ohne Arbeit bleiben?
Überwinden wir die wachsende Ungleichheit? Oder nehmen wir es hin, dass wenige sich die
höchsten Einkommen und die besten Perspektiven sichern, aber die Lasten und Risiken auf den
Schultern derer liegen, die sich nicht wehren können?
Wird es uns gelingen, unser Leben und Wirtschaften so zu verändern, dass wir den menschenge-
machten Klimawandel aufhalten?
Nehmen wir die Gestaltung des digitalen Wandels als demokratische Gesellschaft selbst in die
Hand oder bleibt es dabei, dass die Entwicklung der digitalen Welt von wenigen Technologiekon-
zernen diktiert wird?
Sorgen wir für gleiche Teilhabe und mehr Zusammenhalt? Oder nehmen wir es hin, dass unsere
Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet, so dass Populisten und Nationalisten leichtes Spiel
haben?
Das neue Jahrzehnt beginnt mit der Herausforderung der Corona-Pandemie. Für viele Bürger*in-
nen und Unternehmen bedeutet diese Krise harte Einschränkungen. Umso bemerkenswerter ist
die Bereitschaft, Solidarität zu üben, um uns alle zu schützen und dafür auch Einschnitte in die
persönliche Freiheit zu akzeptieren.
Die nächsten Monate werden uns die Rückkehr in eine neue Normalität ermöglichen, die die Be-
schränkungen des öffentlichen und des privaten Lebens Zug um Zug überwindet. Doch auch dann
wird uns Corona noch begleiten. Vieles wird anders. Die Erfahrung dieser Krise wird sich ins kollek-
tive Gedächtnis einschreiben.
Wir alle haben erfahren, dass nichts eine persönliche Begegnung auf Dauer ersetzen kann. Wir ha-
ben aber auch gelernt, wie wir digital zusammenarbeiten und kommunizieren können. Außerdem
haben mittlerweile alle erkannt, wie unabdingbar die Arbeit vieler Menschen für unser tägliches
Leben und Überleben ist, die aber bisher nicht die Wertschätzung und schon gar nicht die Bezah-
lung und Sicherheit bekommen, die sie verdienen. Es hat sich eindringlich bestätigt, dass Familien
auf eine krisenfeste, verlässliche Infrastruktur an Bildung, Betreuung und Angeboten der Kinder-
und Jugendarbeit angewiesen sind.
Um die Krise zu überwinden, braucht es gemeinsame Anstrengungen. Daraus kann neuer Mut
wachsen, mit dem wir die großen Aufgaben unserer Zeit zuversichtlich angehen können. Wir
wollen sichern und ausbauen, was wir erarbeitet haben, wir wollen den Klimawandel bewältigen,
die Arbeit von morgen schaffen, Chancen und Lasten gerecht verteilen, die Gesellschaft zusam-
menhalten und der Gefahr ihrer Spaltung begegnen. Wir Sozialdemokrat*innen sind entschlossen,
diese Aufgaben zu bewältigen.
Die meisten Bürger*innen in unserem Land eint das Bedürfnis nach Respekt, Zusammenhalt und
Zuversicht für eine gute, sichere Zukunft in Deutschland und Europa. Diese Zuversicht entsteht
aus dem Vertrauen, Einfluss darauf nehmen zu können, wohin sich unser Leben, wohin sich unsere
Gesellschaft entwickelt. Immer mehr Bürger*innen wollen mitbestimmen, in welche Richtung
wir gehen werden. Spürbar ist das in dem gewachsenen Bewusstsein um die ökologische Verant-
wortung, in der dringenden Sorge um den schwindenden Zusammenhalt oder in der wachsenden
Kritik an Ungleichheit in unserer Gesellschaft.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 1Seite > 4SPD-Parteivorstand 2021
In der Corona-Krise wird einmal mehr überaus deutlich, dass Gewinnmaximierung und Kosten-
minimierung nicht das Maß aller Dinge sein dürfen. In der Wirtschaft, im Gesundheitssystem, im
Bildungssystem, der Justiz und anderen wichtigen Bereichen wurde zu viel „auf Kante genäht“. Aber unsere
Gesellschaft ist stabil – auch unter widrigen Umständen und in krisenhaften Situationen. Wir müssen alles
dransetzen, dass es so bleibt. Die Stabilität verdanken wir der beeindruckenden Solidarität und den demo-
kratischen Grundwerten unserer Gesellschaft. Neue Akzeptanz und neue Begeisterung sowie neuer Respekt
für demokratische Institutionen entstehen durch mehr Transparenz und Beteiligung.
Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist der Respekt vor der Verschiedenheit der Menschen und ihrer
Lebensentwürfe eine der wichtigsten Grundlagen. Diese Vielfalt ist ein unschätzbarer Gewinn, und wir wer-
den dafür sorgen, dass sie sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft, in unseren Parlamenten und in den
Formaten der Beteiligung angemessen widerspiegelt.
Vielen in Deutschland geht es – auch im Vergleich mit anderen Ländern – wirtschaftlich gut. Aber das gilt
nicht für alle und es fehlt vielen die Gewissheit, dass das auch morgen so sein wird. Mit unserer Politik
werden wir dazu beitragen, dass die Ungleichheit überwunden wird, Sicherheit im Wandel garantiert ist und
neue Zuversicht entsteht.
1.1. Zukunft sichern
Ein kurzer Blick in die Zukunft: Spätestens 2045 werden wir klimaneutral wirtschaften. Windkraft
und Sonne sind unsere Energiequellen, unterstützt durch eine saubere Wasserstoffwirtschaft. Öf-
fentliche Gebäude, Schulen und Supermärkte beziehen Solarstrom, und klimafreundliches Unter-
nehmertum wird finanziell belohnt. Wir sehen in dieser Jahrhundertaufgabe riesige Potenziale für
gute und sichere Arbeitsplätze. Deutschland ist erfolgreich als Exporteur umweltfreundlicher Tech-
nologien, weil es gelungen ist, Produktionsprozesse nachhaltig und die 20er zu einem Jahrzehnt
der erneuerbaren Energien zu machen.
Den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft meistern wir, wenn wir wirtschaftlichen Erfolg zu-
künftig nicht nur am Bruttoinlandsprodukt messen, sondern am Wohlergehen der gesamten Ge-
sellschaft und der Natur. Wir richten unsere Politik an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Na-
tionen (SDG) aus und werden dazu die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln. Wenn
der Staat maßgebliche Impulse gibt, durch kluge Spielregeln, die soziale und technische Innovatio-
nen hervorbringen, durch Förderung von Wissenschaft und Forschung, durch massive und stetige
Investitionen in eine moderne Infrastruktur, durch aktive Förderung der Regionen im Wandel und
durch Beteiligung der Bürger*innen im Allgemeinen und der Beschäftigten im Besonderen. So wer-
den Arbeitsplätze zukunftsfähig und neue gute Arbeitsplätze geschaffen. So sichern wir Einkom-
men und Perspektiven für alle. Wir wollen einen neuen sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrag,
der dafür sorgt, dass im Wandel niemand abgehängt wird.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 1Seite > 5SPD-Parteivorstand 2021
1.2. Respekt erneuern
Die Corona-Krise hat uns allen in Deutschland vor Augen geführt, wie sehr wir in unserem Alltag
auf die Arbeit derjenigen angewiesen sind, deren Einkommen bislang oft nur knapp zum Leben
reicht. Die Kassierer*innen im Supermarkt, die Busfahrer*innen, Reinigungskräfte, Pflegekräfte und
Erzieher*innen verdienen mehr Anerkennung – die sich auch in guten Einkommen und Arbeitsbe-
dingungen niederschlägt. Dafür werden wir kämpfen.
Wie wertvoll ein funktionierender Sozialstaat ist, haben wir in der Corona-Krise erlebt. Wir be-
mühen uns, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise bestmöglich durch verschiedene
Maßnahmen abzumildern, etwa durch ein tragfähiges Kurzarbeitergeld. Erkennbar wurde aber
auch, wo wir als Gesellschaft noch viel zu tun haben. Bei der immer noch nicht vollendeten Gleich-
stellung von Männern und Frauen, die sich vor allem daran zeigte, dass sich viele unvermittelt in
alte Rollenmodelle zurückversetzt gesehen haben. Auch bei der unzureichenden Absicherung von
Künstler*innen und Selbstständigen, den überteuerten Wohnungen nicht nur in den Ballungszent-
ren und der mangelnden Infrastruktur im ländlichen Raum gibt es noch viel zu tun.
Respekt vor der Würde aller Bürger*innen heißt für uns, dass alle ein Recht auf gleiche Verwirkli-
chungschancen und ein sicheres Leben haben. Eine Wohnung, ein Kita-Platz, Zugang zu kosten-
loser Bildung, Mobilität, Kultur, Sport, einen schnellen Internetanschluss, Zugang zum Wissen
dieser Welt, verlässliche digitale Dienste für eine aktive Zivilgesellschaft, Gesundheitsversorgung,
Mitbestimmung im Arbeitsleben, eine sichere Rente, gute Pflege im Alter, das sind für uns soziale
Grundrechte und die Voraussetzungen für die Stabilität von Familie und Gesellschaft.
Wir treten für eine Gesellschaft ein, die von gegenseitigem Respekt getragen wird. Eine Gesell-
schaft, die, frei von Vorurteilen, alle Bürger*innen gleichermaßen respektiert. Wir schulden ein-
ander Respekt, egal ob eine*r studiert hat oder nicht, ob in Deutschland oder woanders, im Osten
oder Westen geboren, ob weiblich, männlich oder divers, ob jung oder alt, arm oder reich, ob mit
Behinderung oder ohne. Für die Würde und Wertschätzung jeder und jedes einzelnen darf das
keinen Unterschied machen. Wir wollen eine Gesellschaft des Zusammenhalts und stellen uns
Hass und Hetze, jedweder Art von Ausgrenzung und Diskriminierung und dem Erstarken rechtsex-
tremer Kräfte mit aller Entschiedenheit entgegen.
Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland schaffen. Dazu gehört auch,
die deutsche Einheit zu vollenden und das Ungleichgewicht zwischen Metropole und Peripherie,
zwischen traditionellen Industrieregionen und neuen Boom-Zonen, zwischen Stadt und Land zu
reduzieren. Gerade hier zeigen sich die Herausforderungen großer gesellschaftlicher Transforma-
tionsprozesse und des Strukturwandels. Dabei sind der Respekt und die Anerkennung der spezi-
fisch ostdeutschen Lebenserfahrungen und Lebensleistungen zentral, um das Vertrauen in die
Demokratie weiter zu stärken. Unser Ziel ist, die Sichtbarkeit der Ostdeutschen in allen Bereichen
zu erhöhen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 1Seite > 6SPD-Parteivorstand 2021
1.3. Europa stärken
Grenzenlos reisen, arbeiten, studieren oder leben. Die Europäische Union (EU) hat das Leben von
Millionen von Menschen geprägt, neue Möglichkeiten und Freiheiten eröffnet und den unermess-
lichen Wert kultureller Vielfalt für unsere Gesellschaften für viele erlebbar gemacht. Sie hat ge-
zeigt, dass wir gemeinsam mehr erreichen können. Darauf wird es in Zukunft ganz besonders
ankommen.
In einem von globalem Wettbewerb geprägten Umfeld können wir unsere europäischen Werte
und Interessen nur behaupten, wenn Europa nach innen geeint und nach außen handlungsfähig
ist. Wir wollen die Freiheit und Rechtstaatlichkeit in Europa schützen und die EU zur modernsten
Demokratie der Welt machen. Wir wollen, dass Europa auch beim Klimaschutz Vorreiter wird. Wir
wollen ein digital souveränes Europa auf der Basis einer wertebasierten digitalen Wirtschaft. Mit
Investitionen in unsere gemeinsame Wirtschafts- und Innovationskraft stärken wir Europa als den
modernsten, sozialsten, nachhaltigsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt und
sichern so die Grundlagen unseres Wohlstands. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für ein
souveränes Europa, das für soziale Gerechtigkeit, Wohlstand und Menschenrechte steht und sich
geschlossen für eine gerechtere, friedlichere und nachhaltigere Welt einsetzt.
Nur miteinander werden wir eine humanitäre und solidarische Flüchtlingspolitik gewährleisten.
Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind das Fundament unserer Gemeinschaft. Wir wer-
den es nicht zulassen, dass nationalistischer Hass und populistische Hetze Europa spalten.
Wir meinen es ernst mit der europäischen Solidarität. Wir haben zu Beginn der Pandemie schnell
und kraftvoll gehandelt und den größten Wiederaufbaufonds der Geschichte der Europäischen
Union auf den Weg gebracht – eine Solidarleistung, die die sozialen Folgen der Corona-Krise ab-
mildert und die gleichzeitig den sozial-ökologischen Wandel vorantreibt und Innovationen fördert.
Europa bekommt dafür weltweite Anerkennung. Auf dieser Basis wollen wir neues Vertrauen in
Europa aufbauen und eine wirtschaftliche und politische Spaltung der EU verhindern.
1.4. Zusammenhalt wählen
Wir haben vieles erreicht in der Regierungskoalition. Die Erfolge tragen eine erkennbar sozial-
demokratische Handschrift. Dazu zählen die Verlängerung und die Erhöhung des Kurzarbeiter-
gelds, der Corona-Kinderbonus und die Erhöhung des Kinderzuschlags sowie mehr Geld für den
Kita-Ausbau, die Ausgestaltung des Corona-Konjunkturpakets mit den Schwerpunkten der wirt-
schaftlichen Stabilisierung, der sozialen Sicherung und der ökologischen Transformation, dazu die
deutliche Einschränkung von Werkvertrags- und Leiharbeit in der Fleischindustrie. Wir haben die
Grundrente, die Mindestausbildungsvergütung, die Brückenteilzeit und die Abschaffung des Soli-
Zuschlags für niedrige und mittlere Einkommen durchgesetzt.
Bei der anstehenden Bundestagswahl geht es um Richtungsfragen. Es gibt die, die den Sozialstaat
abbauen und Sozialleistungen kürzen wollen. Ihnen setzen wir das Konzept für einen Sozialstaat
entgegen, der es allen ermöglicht, den Wandel zu meistern und kommenden Krisen zu trotzen.
Denen, die gegen die Krise ansparen wollen und alle Lebensbereiche den Gesetzen des Marktes
unterwerfen wollen, setzen wir zentrale Zukunftsmissionen mit konkreten Investitionsschwer-
punkten entgegen.
Für unser Streben nach mehr gegenseitigem Respekt in Deutschland, Europa und der Welt werben
wir mit diesem Programm.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 8SPD-Parteivorstand 2021
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2
2.0. Eine lebenswerte Zukunft
Wir sehen viel Gutes. Wir sehen auch vieles, das man besser machen kann. Wir sehen aber auch
Entwicklungen, die geändert oder gestoppt werden müssen, um eine gute Zukunft möglich zu
machen. Deshalb werden wir in der Welt von morgen unseren Wohlstand sichern, erhalten und
ausbauen und zugleich das Klima und die Umwelt schützen. Wir werden ermöglichen, dass alle
Bürger*innen sicher leben und sich entfalten können.
Viele Bürger*innen haben den Eindruck, dass staatliches Handeln oft einem Reparaturbetrieb
gleicht. Mal wird da an einer Schraube gedreht, mal an einer anderen. Dieses politische “Klein-
Klein” überwinden wir. Für uns geht es um die Bewältigung von Zukunftsaufgaben.
Daher benennen wir vier Zukunftsmissionen, die für uns eine zentrale Bedeutung haben. Das gilt
für den Kampf gegen den Klimawandel, für die Zukunft der Mobilität, für die Digitalisierung und
für das Gesundheitssystem. Wir werden diese vier Zukunftsmissionen anpacken, um die Wirt-
schaft zu modernisieren, High-Tech in den Schlüsselbranchen zu fördern, unsere Lebensgrundla-
gen zu erhalten und die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen.
Die Umsetzung dieser Missionen braucht ein hohes Niveau öffentlicher Investitionen und eine
sozial-ökologisch ausgerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wir werden diese Missionen im Zu-
sammenwirken mit Gewerkschaften, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft voranbringen
und den klimafreundlichen Infrastrukturausbau auf Grundlage eines neuen, gesamtgesellschaft-
lichen Infrastrukturkonsenses gestalten. Darin zeigt sich unser Anspruch eines modernen und
kooperativen Regierens.
2.1. Zukunftsmission I.
Klimaneutrales Deutschland
Den Klimawandel zu stoppen, ist eine Menschheitsaufgabe. Unsere Politik richtet sich nach dem
Klimaabkommen von Paris: Wir müssen die globale Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius
begrenzen. Darum haben wir uns zum Ziel gesetzt, in Deutschland bis spätestens 2045 komplett
klimaneutral zu sein. Mit dem Klimaschutzgesetz haben wir dafür gesorgt, dass das Klimaab-
kommen konkret wird: Es bietet einen wirkungsvollen Kontrollmechanismus zur Erreichung der
Klimaziele. Dementsprechend werden wir im Einklang mit den europäischen Klimazielen unser
Minderungsziel für 2030 deutlich (auf 65 %) anheben; auch für 2040 werden wir ein Minderungs-
ziel festschreiben (88 %).
Es kommt jetzt darauf an, die Ziele in praktische Politik umzusetzen. Der Ausstieg aus der Atom-
energie ist Ende nächsten Jahres bereits vollzogen. Auch der Kohleausstieg ist beschlossene Sache.
Dabei gilt, je schneller der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfolgt und je
schneller die nötigen Stromleitungen und Verteilnetze gebaut werden, desto eher kann auf fossile
Energieträger verzichtet werden. Wir haben in dieser Wahlperiode den Ausstieg aufs Gleis gesetzt
und ihn mit umfassenden Strukturhilfen verbunden, die wir zügig umsetzen wollen. Das sind his-
torische Entscheidungen. Unser Arbeitsmarkt hat eine starke industrielle Basis, die aus dem Um-
bau noch stärker hervorgehen kann – wenn wir gezielt in Infrastruktur und Innovationen investie-
ren. So wird unsere Zukunftsmission „klimaneutrales Deutschland“ zum Jobmotor. Auch werden
wir – nicht nur im Rahmen unserer Klimapolitik – die Grundlagen dafür schaffen, dass alle bei der
Bewältigung des Klimawandels mit anpacken können, alle von den Chancen profitieren und nicht
diejenigen das Nachsehen haben, die den geringsten Einfluss auf ihre CO2-Bilanz haben.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 9SPD-Parteivorstand 2021
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2
Unser Ziel: Leben, Arbeiten und Wirtschaften hat spätestens 2045 keine negativen Auswirkungen
mehr auf unser Klima. Die Energieversorgung Deutschlands basiert dann vollständig auf erneu-
erbaren Energien, unsere Gebäude werden effizient mit erneuerbaren Energien beheizt. Unsere
Industrie ist auf den Weltmärkten weiterhin führend, gerade weil sie CO2-neutral produziert
und Technologien exportiert, die die klimaneutrale Welt von morgen braucht. So sichern wir die
Arbeitsplätze für die Zukunft und erreichen gleichzeitig unsere ökologischen Ziele. Klimaschutz ist
die soziale Aufgabe der nächsten Jahrzehnte.
Um in Deutschland bis spätestens 2045 treibhausgasneutral leben, arbeiten und wirtschaften
zu können, werden wir dafür sorgen, dass wir unseren Strom spätestens bis zum Jahr 2040 voll-
ständig aus erneuerbaren Energien beziehen. Unser Strombedarf wird in den kommenden Jahren
und Jahrzehnten deutlich steigen, weil wir anstatt fossiler Energieträger deutlich mehr Strom im
Verkehr und der Industrie einsetzen werden. Allein bis 2030 brauchen wir jährlich ungefähr 10
tWh Strom zusätzlich - das entspricht dem Stromverbrauch von Hamburg. Wir brauchen deshalb
ein Jahrzehnt des entschlossenen Ausbaus der erneuerbaren Energien. Dafür müssen jetzt die
richtigen Entscheidungen getroffen werden: Beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der
Digitalisierung der Stromnetze, bei der Steigerung der Energieeffizienz, beim Aufbau von Speicher-
technologien und einer Wasserstoffproduktion sowie eines Transportnetzes, bei Investitionen in
klimafreundliche Produktionsprozesse in der Industrie, bei der Modernisierung von Wohngebäu-
den, Fabriken und Schulen.
Erneuerbarer Strom wird in allen Sektoren eingesetzt. Dort, wo eine direkte Elektrifizierung nicht
sinnvoll ist, werden wir große Mengen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien benötigen. Wasser-
stoff stößt bei der Verbrennung keinerlei Treibhausgase aus und ist gut speicherbar. Er ist reichlich
vorhanden und lässt sich durch die Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff erzeu-
gen. Ohne sauberen Wasserstoff in großindustriell hergestelltem Maßstab ist Klimaneutralität
nicht zu erreichen.
Wir brauchen mehr Tempo beim Ausbau der Stromnetze, Bahnstrecken, Wasserstoffleitungen und
Ladesäulen für Elektroautos. Der Ausbau dieser Infrastrukturen muss dem Bedarf vorausgehen.
Unsere Planungen für den Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur müssen über das Jahr 2025
hinausreichen. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und die Beteiligung der Bürger*in-
nen vor Ort, beispielsweise durch Energiegenossenschaften, werden das Herzstück unserer Klima-
schutz- und Energiepolitik.
In einem Zukunftspakt zwischen Bund, Ländern, Kommunen und kommunalen Spitzenverbänden
vereinbaren wir verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energien wie Sonne, Wind und Geother-
mie. Damit die Energiewende vor Ort zur Win-Win-Situation für alle wird, laden wir Bürger*innen
und Gemeinden zum Mitmachen ein, indem wir Mieterstrom und gemeinschaftliche Eigenver-
sorgung stärken, kommunale Beteiligungsmodelle ausweiten und nachhaltige Stromanleihen
auflegen. Uns ist ebenso klar, dass wir Verantwortung für die Zukunft der Menschen in den Bran-
chen und Regionen tragen. Es gilt, was wir beschlossen haben: Strukturhilfen für die vom Ausstieg
betroffenen Bergbauregionen, aber auch darüber hinaus. Die verlässliche Unterstützung beim
Aufbau neuer Wertschöpfung und zukunftsfähiger Arbeitsplätze hat oberste Priorität - ebenso die
Wiedernutzbarmachung und Nachsorge bergbaulicher Flächen.
Wir wollen dafür sorgen, dass alle dazu geeigneten Dächer eine Solaranlage bekommen. In einem
ersten Schritt sorgen wir dafür, dass auf öffentlichen Gebäuden und gewerblichen Neubauten
Solar-Strom erzeugt wird. Unser Ziel ist eine Solaranlage auf jedem Supermarkt, jeder Schule und
jedem Rathaus. Wir werden innovative Formen der erneuerbaren Stromerzeugung wie integrierte
Photovoltaik in der Gebäudehülle und auf landwirtschaftlichen Flächen gezielt fördern und neue
strategische Energiepartnerschaften aufbauen.
Mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien müssen wir Energie zugleich effizienter nutzen. Wir
werden die Energieeffizienzziele und -standards weiterentwickeln.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 10SPD-Parteivorstand 2021
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2
Seit Anfang 2021 gilt im Zuge des nationalen Emissionshandels ein CO2-Preis. In Kombination mit
anderen Maßnahmen wie dem Umweltbonus beim Kauf eines Elektroautos oder Förderprogram-
men zum Heizungstausch sorgt er dafür, dass klimafreundliche Alternativen attraktiver werden.
Um den Einsatz erneuerbarer Energien im Verkehr und der Gebäudewärme zu unterstützen („Sek-
torenkopplung“), werden wir die EEG-Umlage in der bestehenden Form bis 2025 abschaffen und
aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Dazu dienen auch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung.
Diese Maßnahme leistet auch einen Beitrag zur sozial gerechten Finanzierung der Energiewende,
weil dadurch die Stromrechnung deutlich sinkt. Wir werden dafür sorgen, dass Bürger*innen mit
niedrigen Einkommen nicht ins Hintertreffen geraten. Mit dem Ansteigen des CO2-Preises werden
wir für weitere sozial gerechte Ausgleichsmaßnahmen sorgen. Einen Pro-Kopf-Bonus werden wir
prüfen.
Auch der Gebäudesektor muss schrittweise CO2-neutral werden. Mit dem CO2-Preis wollen wir vor
allem Investitionen lenken und Vermieter*innen zur Modernisierung motivieren. Gerade im Be-
stands-Mietwohnungsbau gibt es noch viel zu tun. Wir haben das Ziel, dass bis 2030 fünf Millio-
nen Häuser über innovative Heiz- und Energiesysteme (z.B. Wärmepumpen) versorgt werden. Wir
werden gesetzliche Regelungen schaffen, dass der CO2-Preis von den Vermieter*innen getragen
wird. Dabei orientieren wir uns am Ziel der Warmmieten-Neutralität. Zugleich werden wir Investi-
tionen in Wärmenetze und Quartierskonzepte staatlich fördern.
Wir werden mit einer langfristig angelegten Industriestrategie Planungssicherheit für den sozial-
ökologischen Umbau unserer Wirtschaft schaffen. Diese Industriestrategie wird in Verbindung mit
dem European Green Deal in eine gesamteuropäische Lösung eingebettet sein.
Den Umstieg auf klimaschonende Produktionsprozesse werden wir durch direkte Investitionsför-
derung staatlich unterstützen und die derzeitigen höheren Kosten von klimaschonenden Techno-
logien ausgleichen; klima- und umweltschädliche Subventionen werden wir abbauen. Wir werden
einen Markt für umweltfreundliche Ausgangsmaterialien schaffen. Die öffentliche Hand als großer
Bauherr von Straßen und Gebäuden wird bis 2030 schrittweise immer mehr und ab 2030 aus-
schließlich klimaneutrale Grundmaterialien für Bauten beschaffen. Wir werden unsere Industrien
sichern und die Verlagerung von Produktion und Emissionen ins Ausland durch maßgeschneiderte
Instrumente unattraktiver machen. Außerdem werden wir dafür sorgen, dass für Unternehmen,
die im internationalen Wettbewerb stehen, auch der Industriestrompreis wettbewerbsfähig ist.
Mit Ressourcen werden wir nicht länger verschwenderisch umgehen. Wir werden unsere Wirt-
schaft zur Kreislaufwirtschaft umbauen. Die Menge an Abfall, die wir in Deutschland produzieren,
muss deutlich weniger werden. Neben dem Recycling werden wir ein Rohstoffsicherungskonzept
erarbeiten, um eine sichere Lieferung der für die umweltfreundliche Produktion nötigen Rohstoffe
zu gewährleisten.
Wir werden Schlüsselindustrien auf ihrem Weg zur Klimaneutralität unterstützen und konkrete
Transformationsziele entwickeln und fördern. Wir werden Deutschland bis 2030 zum Leitmarkt
für Wasserstofftechnologien machen – für die klimaneutrale Erzeugung von Stahl, für CO2-arme
PKWs, LKWs und den Schiffs- und Flugverkehr.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 11SPD-Parteivorstand 2021
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2
2.2. Zukunftsmission II.
Modernstes Mobilitätssystem Europas
Alle Bürger*innen müssen schnell, zuverlässig und klimafreundlich von A nach B gelangen können.
Dafür denken wir Mobilität neu: Nachhaltig, bezahlbar, barrierefrei und verlässlich. Und immer
mehr Bürger*innen steigen auf Bus, Bahn oder das Rad um. Dennoch bleibt das Auto für viele
Menschen wichtig. Aber der Schadstoffausstoß wird auf null reduziert sein. Unsere Mission ist
eine klimaneutrale Mobilität für alle.
Wir werden die Verkehrswende voranbringen und bis 2030 das modernste und klimafreundlichste
Mobilitätssystem Europas aufbauen. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, zu der die Bundes-
regierung ihren Beitrag leisten wird, die aber auch Länder und Kommunen in die Pflicht nimmt.
Unser Ziel ist eine Mobilitätsgarantie: Jede*r Bürger*in – in der Stadt und auf dem Land - soll einen
wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr haben. Dazu nutzen wir die Möglichkeiten
der Digitalisierung: mit neuen Mobilitätsdienstleistungen, die vernetzte Mobilitätsangebote auf
digitalen Plattformen nutzbar machen. Modelle wie das 365-Euro-Ticket oder Modellprojekte für
einen ticketfreien Nahverkehr unterstützen wir.
Wir werden einen Mobilitätsplan 2030 auf den Weg bringen, der den öffentlichen Personennah-
verkehr und den Schienenverkehr auf ein neues Niveau bringt. Der Bund wird durch Austauschpro-
gramme seinen Beitrag leisten, damit alle neuen Busse und Bahnen bis 2030 in den Kommunen
klimaneutral fahren und die vorhandenen Flotten modernisiert sind. Förderprogramme und ein
geändertes Straßenverkehrsrecht sollen Kommunen dabei unterstützen, in Städten mehr Fläche
für öffentlichen Verkehr, Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu schaffen. Wir werden den
Straßenverkehr im Sinne der Vision Zero sicherer machen, insbesondere auch für die vielen Rad-
fahrer*innen.
An Knotenpunkten werden wir die Einrichtung von barrierefreien Mobilitätsstationen für nachhal-
tige urbane Mobilität fördern, damit möglichst viele vom Auto auf umweltfreundliche Verkehrs-
mittel umsteigen. Wir werden eine nationale Leitstelle Mobilität einrichten, die die Erarbeitung
regionaler Mobilitätspläne unterstützt und eine frühzeitige Beteiligung vor Ort sicherstellt.
Der Schienenverkehr ist ein Schwerpunkt unserer verkehrspolitischen Agenda. Bahnfahren soll in-
nereuropäisch günstiger und attraktiver als Fliegen sein. Wir wollen rasch einen Deutschlandtakt
umsetzen und einen Europatakt aufbauen. Hierfür werden wir investieren: in den Aus- und Neu-
bau des Schienennetzes, in den Lärmschutz und den Ausbau und die Attraktivitätssteigerung von
Bahnhöfen. Wir haben das Ziel, alle Großstädte wieder ans Fernverkehrsnetz anzuschließen und
neue schnelle Zug- und Nachtzugverbindungen in unsere Nachbarländer zu etablieren. Vor allem
werden wir die Attraktivität des Nahverkehrs verbessern, durch Investitionen in das Angebot und
die Qualität von Zügen und Bussen und durch die Reaktivierung alter Bahnstrecken. Wir werden
engere, verlässliche Taktungen, komfortablere Züge mit flächendeckendem W-LAN und eine Reser-
vierungsmöglichkeit für Sitzplätze ermöglichen.
Bis 2030 wollen wir mindestens 75 Prozent des Schienennetzes elektrifizieren, die Schiene weiter
digitalisieren und für nicht elektrifizierte Strecken verbindliche Nutzungen wie den Einsatz von
wasserstoffbetriebenen Zügen unterstützen. Die Deutsche Bahn AG ist für uns ein Garant verläss-
licher Mobilität. Wir werden sie als integrierten Konzern in öffentlichem Eigentum erhalten. Mit
der Verpflichtung zur Tariftreue, zum Personalübergang für alle Beschäftigten bei Betreiberwech-
sel und der Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen im Vergaberecht sorgen wir für Fairness auf
dem Markt für Mobilitätsdienstleistungen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 12SPD-Parteivorstand 2021
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2
Wir wollen, dass sich die Deutsche Bahn AG auf ihr Kerngeschäft des Transports von Personen und
Gütern auf der Schiene konzentriert und auf gemeinwohlorientierte Ziele ausrichtet. Den Schie-
nengüterverkehr wollen wir ausbauen und modernisieren. Wir werden in die Erneuerung und
Digitalisierung von Loks und Waggons investieren. Wir werden die Kostennachteile der Schiene
gegenüber der Straße parallel zum Kapazitätsaufbau im Schienengüterverkehr verringern. Die
Potenziale unserer Wasserstraßen werden wir stärker nutzen, um mehr Güterverkehr vom LKW
auf die umweltfreundliche Binnenschifffahrt zu verlagern.
Die Zukunft gehört den elektrischen Antrieben. Wir wollen diese Entwicklung aktiv gestalten,
damit die Automobilindustrie Leitindustrie bleibt und die Zukunft der vielen kleinen und mittel-
ständischen Zulieferer mit ihren Arbeitsplätzen gesichert ist. Wir wollen die Elektrifizierung des
Verkehrs massiv voranbringen. 2030 sollen mindestens 15 Millionen PKW in Deutschland voll
elektrisch fahren.
Wir werden Deutschland zu einem Zentrum der Batteriezellenfertigung und des Recyclings ge-
brauchter Batterien machen. Im Schwerlastverkehr wird auch die Wasserstoff-Brennstoffzelle eine
wichtige Rolle spielen. Die weitere Forschung hierzu werden wir unterstützen. Wir unterstützen
die Automobil-Zulieferindustrie bei der Umstellung ihrer Produktionsprozesse und der Erschlie-
ßung neuer Geschäftsfelder. Gemeinsam mit Sozialpartnern und lokalen Akteuren werden wir re-
gionale Transformationscluster aufbauen, um neue, qualifizierte und gut bezahlte Beschäftigung
in den Regionen zu schaffen.
Wir machen das Stromtanken so einfach wie bisher das Tanken von Benzin und Diesel. Den Fort-
schritt beim Ausbau der Ladesäulen für Elektroautos wollen wir vierteljährlich evaluieren und wo
nötig mit Versorgungsauflagen und staatlichem Ausbau die notwendige verlässliche Erreichbar-
keit von Ladepunkten herstellen.
Wir werden ein Tempolimit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen. Das schützt die
Umwelt und senkt die Unfallzahlen deutlich. Zusätzlich werden wir Forschung, Entwicklung und
Pilotprojekte vorantreiben, damit Schiffe, Flugzeuge und Laster kein klimaschädliches CO2 mehr
ausstoßen. Wir verbinden das mit Projekten zum Aufbau einer umweltfreundlichen Wasserstoff-
wirtschaft.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 13SPD-Parteivorstand 2021
2.3. Zukunftsmission III.
Digitale Souveränität in Deutschland und Europa
Deutschland soll 2030 über eine digitale Infrastruktur auf Weltniveau verfügen, über eine voll-
ständig und durchgängig digitalisierte Verwaltung und ein Bildungssystem, in dem für das Leben
in einer digitalen Welt gelernt werden kann. Die Selbstbestimmung und digitale Mündigkeit der
Bürger*innen ist unser Leitbild, damit die Digitalisierung allen zugutekommen kann.
Ein schneller, sicherer und bezahlbarer Internetzugang ist im 21. Jahrhundert unverzichtbar. In
den 2020er Jahren muss Deutschland zur “Gigabit-Gesellschaft” werden. Gerade mittelständische
Unternehmen im ländlichen Raum, die oft global agieren, sind auf schnelles Internet angewiesen,
um wettbewerbsfähig zu bleiben. Um dieses Versprechen einzuhalten, werden wir die Versorgung
aller Haushalte und Unternehmen mit einer Bandbreite von mindestens einem Gigabit pro Sekun-
de garantieren – durch konkrete, gesetzlich festgelegte Ausbau- und Versorgungsverpflichtungen
und entsprechende Zwischenziele. Hier stehen auch die Netzbetreiber in der Verantwortung.
Unser Ziel ist ein moderner, bürgernaher Staat, der allen Bürger*innen einen einfachen, digitalen
Zugang zu seinen Dienstleistungen bietet. Wir werden daher die Verpflichtung von Bund, Ländern
und Kommunen zur Bereitstellung digitaler Verwaltungsdienstleistungen ausbauen, damit alle
Verwaltungsleistungen möglichst schnell auch digital verfügbar sind. Jede*r Bürger*in soll ohne
Zusatzkosten und Extrageräte die Möglichkeit haben, diese Leistungen freiwillig und datenschutz-
konform mit einer digitalen Identität zu nutzen. Wer Anspruch auf eine Leistung hat, muss diese
– wenn möglich – automatisch, ohne Antrag erhalten oder in einfacher Form ‘mit einem Klick’
beantragen können. Bürger*innen sollen, nach dem Modell einer digitalen Life-Chain, Berechtigun-
gen selbst vergeben und auch wieder löschen können und somit kontrollieren, wer wann auf ihre
Daten zugreift. Öffentlich finanzierte Software sollte, wo möglich, als Open-Source transparent
entwickelt und öffentlich zugänglich gemacht werden.
Wir verfolgen das Ziel, dass alle Schulen in Deutschland erstklassig ausgestattet sind. Jedem/r
Schüler*in muss ein digitales Endgerät und Zugang zum Internet zur Verfügung stehen. Mit dem
DigitalPakt Schule und dem Konjunkturpaket haben Bund und Länder bereits einen großen Schritt
zu einer digitalen Lehrmittelfreiheit getan. Wir werden hier weiter investieren und ein Moderni-
sierungsprogramm des Bundes aufsetzen, das sowohl den Sanierungsbedarf der Schulgebäude als
auch die digitale Ausstattung umfasst. Wir werden dafür sorgen, dass eine einfache, unbürokra-
tische Umsetzung der digitalen Grundausstattung für alle Schulen möglich ist. Einen besonderen
Schwerpunkt werden wir auf die Ganztagsschule legen.
Neben der Infrastruktur brauchen wir auch eine bessere Koordinierung des Unterrichts selbst. Wir
brauchen Lehr- und Lernmaterialien für inklusive, ganzheitliche Bildung. Auf einer Open-Source-
Plattform, die bereits durch den Digitalpakt beauftragt und finanziert ist, sollen künftig länder-
übergreifend Lehr- und Lernmaterialien und Unterrichtskonzepte für alle zugänglich sein: offen,
dezentral, sicher und vernetzt. Die Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendli-
chen ist dabei ein zentrales Ziel.
Notwendig ist darüber hinaus ein System, das die Qualität der eingestellten Medien auf solchen
offenen Plattformen prüft und sichert. Wir werden die Entwicklung datenschutzkonformer in-
telligenter Lehr- und Lernsoftware unterstützen. Unser Ziel ist es, die Lehr- und Lernprozesse zu
individualisieren, Schüler*innen bestmöglich zu fördern, Lehrkräfte fortzubilden und zu entlasten
und die Binnendifferenzierung im (digitalen) Unterricht zu verbessern. Die Aus- und Fortbildung
von Lehrkräften ist ein Schlüssel zur digitalen Schule. Wir werden deshalb bundesweit vernetzte
Kompetenzzentren für digitales Lehren und Lernen aufbauen und unterstützen.
Digitales Lernen ist für uns auch Persönlichkeitsbildung und die Förderung sozialer Kompetenzen.
Deshalb werden wir den pädagogischen, stärkenorientierten Ansatz der Kinder- und Jugendhilfe
ebenso einbeziehen, wie auch die frühkindliche Bildung und einen Digitalpakt, auch für die Kin-
der- und Jugendhilfe, auflegen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 14SPD-Parteivorstand 2021
Die Digitalisierung darf die Gesellschaft nicht spalten. Der Zugang zum Netz muss bezahlbar sein.
Für Bürger*innen mit geringem Einkommen, für Schüler*innen und Studierende werden wir darum
einen Sozialtarif für den Netzzugang schaffen. Zur digitalen Teilhabe gehört die Barrierefreiheit.
Alle Bürger*innen sollen zur digitalen Selbstbestimmung befähigt werden. Wir brauchen ein Recht
auf digitale Bildung und Weiterbildung für alle Generationen. Gerade die Volkshochschulen sind
ideale Orte, um digitale Bildung für alle Bürger*innen zu ermöglichen - kostengünstig, barrierefrei,
inklusiv. Wir werden die Volkshochschulen mit einem Förderprogramm des Bundes in ihrer Ent-
wicklung unterstützen.
Wir begrüßen die Überlegungen zu einer europäischen Medienplattform, die die Qualitätsinhalte
der öffentlich-rechtlichen Medien Europas für alle Bürger*innen grenzüberschreitend zugänglich
macht. Diese Plattform soll in der Folge auch für Partnerschaften mit Museen und anderen Kultur-
einrichtungen zugänglich sein. Ebenfalls begrüßen wir die verstärkte Veröffentlichung von Inhal-
ten unter offenen und freien Lizenzen, um die Nutzung der Inhalte zum Beispiel im Rahmen freier
Wissensprojekte (Wikipedia) oder auch im Schulunterricht leichter möglich zu machen.
Wir stehen für die digitale Souveränität von Bürger*innen und Verbraucher*innen ein. Wo globale
Plattformkonzerne zu Monopolisten werden, bedrohen sie digitale Vielfalt und neigen dazu, natio-
nalstaatliche Regeln zu umgehen. Wir werden deshalb gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten
eine starke und präzise Regulierung schaffen, den Wettbewerb sichern und alternative Angebote
fördern. Es braucht mehr Angebote mit hoher Datensouveränität.
Es muss Alternativen zu den großen Plattformen geben – mit echten Chancen für lokale Anbieter.
Nutzerdaten müssen geschützt sein und die Nutzer*innen müssen darüber bestimmen können,
was mit ihren Daten geschieht.
Zu viel Marktmacht einzelner schadet dem Wettbewerb und damit letztlich den Verbraucher*in-
nen. Wir wollen Entwicklungen am Markt voraus sein und ein präventives und proaktives Wettbe-
werbs- und Kartellrecht schaffen. In das Kartellrecht werden wir verstärkt vorbeugende Kontrollen
integrieren. Zudem werden wir weitere, neue europäische Instrumente entwickeln, um die über-
mächtigen Plattformen zu zähmen oder notfalls zu entflechten. Grundlegend notwendig hierfür
ist die Bewahrung der Netzneutralität, für welche wir einstehen werden.
Es muss möglich sein, zwischen verschiedenen Messenger-Diensten, sozialen Netzwerken und
digitalen Diensten und Plattformen zu kommunizieren oder zu wechseln. Diese Interoperabilität
werden wir gesetzlich vorschreiben.
Wir brauchen in Europa eine selbstbestimmte Entwicklung und Herstellung der notwendigen
Komponenten und Bauteile, damit nicht ausschließlich US- und chinesische Hersteller über den
Erfolg und die Netzwerksicherheit digitaler Infrastrukturen in Europa entscheiden. Dafür wollen
wir einen gemeinsamen Kraftakt in Europa, der eine gemeinsame europäische Entwicklung und
Produktion solcher Komponenten strategisch und langfristig aufbaut.
Wir setzen uns für eine gezielte und koordinierte Unterstützung der deutschen und europäischen
Digitalwirtschaft auf allen Technologie-Ebenen und entlang der gesamten Wertschöpfungsketten
ein: von der Halbleiter-Fertigung und der Quantentechnologie über die Cloud und Künstliche Intel-
ligenz und Edge-Computing bis zur Cyber-Sicherheit, sicherer und vertrauenswürdiger Hard- und
Software sowie Netzwerktechnik und datenbasierten Geschäftsmodellen.
Große Bedeutung für europäische Unternehmen kommt hierbei Open Source-basierten Modellen
zu. Wir setzen uns ein für eine europäische Cloud-Infrastruktur.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 15SPD-Parteivorstand 2021
Daten sollen für gemeinwohlorientierte digitale Dienstleistungen und Innovationen nutzbar ge-
macht werden und nicht nur wenigen großen Daten-Monopolisten zur Verfügung stehen. Wir
werden ein Datengesetz schaffen, das das Gemeinwohl in den Mittelpunkt rückt. Dafür werden
wir eine vertrauenswürdige Daten-Teilen-Infrastruktur fördern, öffentliche Datentreuhänder ein-
richten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die großen Konzerne ihre Daten für gemeinwohlorien-
tierte Ziele teilen müssen. Rückschlüsse auf einzelne Personen dürfen dabei nicht möglich sein.
Wo die öffentliche Hand Aufträge vergibt, muss sie darauf bestehen können, dass die Daten, die
im Rahmen des Auftrages erhoben werden, wieder an sie zurückfließen. Wir fördern die Entwick-
lung von Anonymisierungstechniken und setzen uns für strafbewehrte Verbote von De-Anonymi-
sierung ein. Der Staat muss beim Datenteilen mit gutem Beispiel vorangehen und einen breiten
Datenzugang im Sinne von Open-Data ermöglichen. Wir werden die Behörden dabei unterstützen,
das umzusetzen.
Online-Handel und Plattformökonomie verändern den Handel dramatisch. Damit nicht nur die
großen Digitalkonzerne profitieren, werden wir Plattformen für den regionalen Handel und regio-
nale Dienstleistungen fördern. Der Handel vor Ort darf steuerlich nicht gegenüber dem Online-
handel ins Hintertreffen geraten. Darum haben wir dafür gesorgt, dass digitale Handelsplattfor-
men dafür in Haftung genommen werden, wenn Händler*innen, die über die Plattform Geschäfte
abwickeln, die Umsatzsteuer nicht zahlen. Wir werden weiterhin konsequent gegen Steuerbetrug
im Onlinehandel vorgehen. Maßnahmen gegen Lohn-, Sozial- und Umweltdumping werden wir
vorantreiben.
Jeden Tag bekommen wir Dinge von Algorithmen vorgeschlagen: Neue Songs, Turnschuhe oder
Routen von A nach B. Selbstlernende Systeme und Algorithmen treffen Entscheidungen für eine
Vielzahl von Menschen. Sie können unser Leben und unseren Alltag erleichtern. Aber sie müssen
transparent und diskriminierungsfrei angelegt werden. Die Zielsetzung einer algorithmischen Ent-
scheidung muss klar und überprüfbar definiert sein. Hierfür brauchen wir eine stringente Regulie-
rung und Aufsicht.
Cybersicherheit ist die Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung. Das Bundesamt für Sicher-
heit in der Informationstechnik als zentrale, unabhängige und ausschließlich präventiv ausgerich-
tete Cybersicherheitsbehörde werden wir stärken und die Verschlüsselungsforschung ausbauen.
Wir wollen Hersteller darauf verpflichten, Softwareprodukte, digitale Dienste und technische
Geräte so zu konzipieren, dass sie sicher sind (Security by Design) und dass sie bei den Standard-
einstellungen die sicherste Variante wählen (Security by Default). Digitale Hintertüren sollen nicht
offen gehalten werden.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden wir schützen. Die Datenschutzgrund-
verordnung ist ein wichtiger Meilenstein und muss in ihrer Durchsetzung praxisnah verbessert
werden. Wir brauchen daher gut ausgestattete, effektiv arbeitende Datenschutzaufsichtsbehör-
den. Privatheit und Datenschutz schaffen Vertrauen und sichern individuelle und kollektive Frei-
heitsräume. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass „die Freiheitswahrnehmung der
Bürger“ durch die Summe der staatlichen Überwachungsmaßnahmen „nicht total erfasst und
registriert werden“ darf. Wir werden ein dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring
der Gesetze im Sicherheitsbereich schaffen.
Die anonyme und pseudonyme Nutzung des Netzes schützt viele Journalist*innen und Freiheits-
kämpfer*innen in aller Welt vor Verfolgung und Bedrohung. Wir sind gegen eine Klarnamenpflicht
im Netz und setzen uns weiterhin für die Möglichkeit einer anonymen und pseudonymen Nutzung
ein. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine freie Meinungsäußerung und der beste Schutz
vor Diskriminierungen. Eine technisch sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist für uns selbstver-
ständlich.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 16SPD-Parteivorstand 2021
Für den Schutz unserer Demokratie und die Sicherheit Einzelner benötigen wir auch im Netz ein
konsequentes Vorgehen gegen Hasskriminalität, Betrug und andere Straftaten. Zur Verfolgung von
aus dem oder im Internet begangenen Straftaten braucht es technisch und personell hinreichend
ausgestattete Strafverfolgungsbehörden. Bei hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten auf
eine Straftat müssen Verdächtige identifiziert werden können. Wir werden die nationalen Schutz-
vorschriften im Strafgesetzbuch und Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiterentwickeln und setzen
uns für verbindliche Regelungen auf europäischer Ebene (Digital Service Act) ein.
Es braucht aber neben den rechtlichen Vorgaben auch ziviles Engagement, um dem Respekt zwi-
schen den Bürger*innen in der digitalen Kommunikation wieder mehr Geltung zu verschaffen. Or-
ganisationen, die gegen Hass und Hetze im Netz aktiv sind, sichern wir unsere Unterstützung zu.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 17SPD-Parteivorstand 2021
2.4. Zukunftsmission IV.
Update für die Gesundheit
Der Gesundheitssektor braucht wieder mehr politische Aufmerksamkeit und Reformen. Wir brau-
chen ein klares Leitbild für die nächsten Jahrzehnte.
Deutschland galt für Jahrzehnte als „Apotheke der Welt“. Die klügsten Forscher*innen fanden sich
in deutschen Instituten, dort sammelten sie Nobelpreise, die unumstritten weltbeste Medizinin-
dustrie wurde hierzulande aufgebaut. Deutschland versorgte Kranke in aller Welt mit allen denk-
baren Heilmitteln, von Aspirin bis zum Impfstoff gegen Tuberkulose. Durch die Corona-Krise wurde
deutlich, dass die Abwanderung der Arzneimittelproduktion ins Ausland und die damit zuneh-
mende Abhängigkeit zu Lieferengpässen oder gar Versorgungsengpässen führen kann.
Deutschland muss wieder seine Innovationskraft einsetzen, um neue Therapieoptionen zu finden.
Dass die gezielte Förderung von Innovationen und neuen Methoden erfolgreich sein kann, hat ak-
tuell das Beispiel BioNtech gezeigt. Es zeigt auch, dass die Gesundheitswirtschaft kein reiner Markt
ist und eine aktive Rolle des Staates Leben retten kann. Wir wollen ein System, das in Krisensitua-
tionen die Produktion, Bereithaltung und Verteilung von notwendiger Arznei und Medizinproduk-
ten sicherstellt. Wir sehen es als unsere Pflicht dafür zu sorgen, dass die Medikamente, die hier
entwickelt werden, in ärmeren Ländern nicht überteuert und knapp sind.
Eines unserer Ziele ist die Förderung der Forschung zur personalisierten Medizin. Diese muss zu
erschwinglichen Preisen für alle zugänglich sein. Maßgefertigte Produkte statt Präparate “von der
Stange” sind Anfang einer neuen Gesundheitswirtschaft und einer neuen Zeit der adaptiven Zu-
lassung von Medikamenten. Personalisierte Medizin bewirkt eine Veränderung im Verhältnis von
Behandlung und Diagnostik. In der Zukunft wird es mehr Produkte geben, bei denen ein diagnos-
tischer Test mit einem Medikament als Einheit angeboten wird. Diese Leistungen müssen allen
Bürger*innen zur Verfügung stehen - auch bei Medikamenten brauchen wir einen Sicherstellungs-
auftrag.
Frauen, Männer und Kinder haben besondere gesundheitliche Bedürfnisse, die bei ihrer Gesund-
heitsversorgung und der Prävention berücksichtigt werden müssen. Doch die Gesundheitsfor-
schung, Ausbildung und Versorgungspraxis orientieren sich zumeist an Daten von weißen, männli-
chen erwachsenen Probanden– das werden wir ändern. Wir werden darüber hinaus Programme in
den Bereichen Prävention und Krankheitsfrüherkennung fördern, die die Besonderheiten verschie-
dener Altersgruppen und Geschlechter berücksichtigen.
Eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung kann am besten durch eine Neuordnung der
Rollenverteilung zwischen ambulantem und stationärem Sektor, durch eine Überwindung der Sek-
torengrenzen und eine gute Koordination und Kooperation der medizinischen, psychotherapeuti-
schen und pflegerischen Berufe gelingen. Wir brauchen darum eine stärkere Öffnung von Kranken-
häusern für ambulante, teambasierte und interdisziplinäre Formen der Versorgung.
Die Corona-Krise hat gezeigt: Der öffentliche Gesundheitsdienst braucht bessere Rahmenbedin-
gungen, eine bessere Ausstattung, auch mit Blick auf die digitale Infrastruktur – Hardware eben-
so wie Software, und eine konkurrenzfähige Vergütung. Dann kann auch dessen sozialpolitisch
wichtigste Aufgabe, die wirtschaftlich Schwächeren in Gesundheitsfragen zu unterstützen, besser
gemeistert werden.
Wir wollen die Potenziale der Digitalisierung für die Verbesserung von Diagnosen und für die
flächendeckende gesundheitliche Versorgung entschlossener nutzen. Auch im Gesundheitssektor
werden Daten immer wichtiger. Die Digitalisierung kann die Versorgungsqualität und die Effizienz
verbessern und Fachkräfte von Aufgaben entlasten.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 18SPD-Parteivorstand 2021
Wir wollen Datenschutz gewährleisten und geeignete Rahmenbedingungen, damit nicht die gro-
ßen Plattformen auch die Gesundheitswirtschaft dominieren. Für uns ist aber klar, dass die Di-
gitalisierung unser hervorragendes und engagiertes medizinisches, psychotherapeutisches und
pflegerisches Personal nicht ersetzen wird. Hinter guter medizinischer und psychotherapeutischer
Versorgung und Pflege stehen immer Menschen. Damit vom Pfleger bis zur niedergelassenen
Ärztin alle die digitale Transformation bewältigen können, sind flächendeckende Weiterbildungs-
und Unterstützungsangebote unerlässlich. Wir wollen zudem dem Schutz der Patientendaten
höchste Priorität einräumen.
Ein leistungsfähiges Gesundheitssystem braucht eine stabile und solidarische Finanzierung. Steu-
erzuschüsse und Investitionsmittel sollten mit klaren Zielvorgaben für die Reform des Systems
verbunden werden. Wir werden eine Bürgerversicherung einführen. Das bedeutet: Gleich guter
Zugang zur medizinischen Versorgung für alle, eine solidarische Finanzierung und hohe Qualität
der Leistungen. Gesundheit ist keine Ware, deshalb müssen in unserem Gesundheitssystem die
Bürger*innen im Mittelpunkt stehen. Der Staat muss deshalb sicherstellen, dass die Leistungen
der Gesundheitsversorgung den Bedürfnissen derer entsprechen, die sie benötigen. Gute Arbeits-
bedingungen und vernünftige Löhne in der Pflege sind dafür eine wichtige Grundlage.
Professionelle Pflege ist ein höchst anspruchsvoller Beruf. Gute Arbeitsbedingungen und ver-
nünftige Löhne sind dafür eine wichtige Grundlage. Maßnahmen zur Überwindung des Personal-
mangels dürfen nicht dazu führen, dass die Stellen in der Pflege abgewertet werden. Wir wollen
die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen beenden, denn sie wirkt sich negativ auf die Ver-
sorgung der Patient*innen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten aus. Gewinne, die aus
Mitteln der Solidargemeinschaft erwirtschaftet werden, sollen verpflichtend und weitestgehend
wieder in das Gesundheitssystem zurückfließen. Wir stärken die Kommunen bei der Einrichtung
und beim Betreiben der integrierten medizinischen Versorgungszentren. Das System der Fallpau-
schalen werden wir auf den Prüfstand stellen, die Pauschalen überarbeiten und wo nötig abschaf-
fen. Die Grundkosten der Krankenhäuser und der integrierten medizinischen Versorgungszentren
werden wir angemessen finanzieren. Bei der Stärkung des Gemeinwohls spielen öffentliche Kran-
kenhäuser eine zentrale Rolle.
Den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen werden Fallpauschalen nicht ge-
recht. Sie führen dazu, dass Kinderkliniken außerhalb der Ballungsräume sich nicht rechnen und
geschlossen werden. Deshalb werden wir die Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin neu
strukturieren. Wir werden auch die ambulante und integrierte psychotherapeutische Versorgung
für Kinder, Jugendliche und Erwachsene stärken, damit sie niedrigschwellig und ohne lange War-
tezeiten allen zugänglich ist.
Insgesamt werden wir für eine bedarfsgerechte Grundfinanzierung der Kliniken, den Erhalt der
Versorgung inklusive den Ausbau der integrierten Versorgungszentren in den ländlichen Regionen
sowie eine integrierte, bessere Notfallversorgung sorgen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 19SPD-Parteivorstand 2021
2.5. Wie wir eine zukunftsfähige Wirtschaft
fördern wollen
Viele bahnbrechende Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte hätte es ohne eine aktive und
vorausschauend handelnde Politik nicht gegeben. Die Politik muss die langen Linien und die Rich-
tung beschreiben und sich als Innovationstreiber verstehen. Sie muss die für die Wettbewerbsfä-
higkeit und die nachhaltige Beschäftigung wesentlichen Ziele formulieren, auf die sich die Kräfte
konzentrieren sollen. Wir brauchen den Staat als strategischen Investor, als Ordnungs- und Gestal-
tungskraft zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit. Staat und Verwaltung müssen
zum Innovationstreiber werden und ihre Nachfragemacht einsetzen.
Die Investitionen der öffentlichen Hand in wichtige Zukunftsfelder haben eine zentrale Bedeu-
tung. Wir werden das, in dieser Legislaturperiode von uns durchgesetzte, hohe Investitionsniveau
des Bundes mit mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr weiter fortsetzen und zudem dazu bei-
tragen, dass sich alle staatlichen Ebenen mit großer Investitionskraft beteiligen. Wir werden die
Unterstützung von strukturschwachen Regionen durch die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) verstetigen. Ein zentraler Akteur beim Investitionsge-
schehen sind die Kommunen – ihre Investitionskraft müssen wir erhalten und stärken. Gleichwer-
tige Lebensverhältnisse zu sichern heißt auch: Soziale Dienstleistungen dürfen nicht abhängig von
der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommune sein. Dazu brauchen wir flächendeckend starke
und handlungsfähige Kommunen. Im Zuge der Corona-Pandemie haben wir bereits weitere Schrit-
te getan, um Kommunen von Sozialausgaben zu entlasten. Ein nötiger Schritt ist, den besonders
hoch verschuldeten Kommunen einmalig hohe Altschulden abzunehmen. Zudem werden wir das
Problem der Altschulden vor allem ostdeutscher Wohnungsbaugesellschaften lösen.
In Deutschland werden gegenwärtig jährlich über 300 Milliarden Euro im Rahmen der öffentlichen
Auftragsvergabe umgesetzt. Gerade die öffentliche Hand muss als große Abnehmerin von Produk-
ten und Dienstleistungen Verantwortung übernehmen. Wir werden die öffentliche Beschaffung
so ausrichten, dass sie Innovationsimpulse setzt und den Zielen des sozial-ökologischen Wandels
dient. Hierfür sollten die Vergabekriterien stärker auf Innovation, Tarifbindung, Geschlechterge-
rechtigkeit und klimafreundliche Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.
Produktentwicklungen müssen sich auf den Staat als Nachfrager verlassen können.
Wir müssen besser darin werden, aus Ideen auch Produkte und Dienstleistungen zu machen und
Start-ups zu fördern. Wir werden dabei die Erkenntnisse aus der Forschung schneller und breiter in
Innovationen und Investitionen übersetzten.
Eine wichtige Rolle nimmt dabei die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein, die Mittel am Kapi-
talmarkt aufnimmt und diese zusammen mit den Förderbanken der Länder in strategisch wichtige
Zukunftsbranchen lenkt, die den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft unterstützt und auch
Start-ups fördert. Wir werden sie zu einer modernen Innovations- und Investitionsagentur weiter-
entwickeln.
Wir stehen an der Seite der vielen Unternehmen, die ihre soziale, gesellschaftliche und ökolo-
gische Verantwortung ernst nehmen. Das Handwerk ist der entscheidende Partner, damit die
Klimawende vor Ort gelingt. Wir werden das Handwerk fördern, indem wir Gebühren für Techni-
ker*innen- und Meister*innenkurse abschaffen und uns für die Tarifbindung im Handwerk ein-
setzen. Wir unterstützen das Handwerk in dem Bemühen, mit neuen Ausbildungskonzepten dem
Fachkräftemangel zu begegnen und berufliche Ausbildung praxisnah mit Schule und Hochschule
zu verknüpfen. Wir fördern und erkennen die Rolle des Handwerks bei der Ausbildung und Integra-
tion junger Menschen aus allen Teilen der Welt an.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 20SPD-Parteivorstand 2021
Start-up-Unternehmen sind wichtige Wachstumsmotoren für die Wirtschaft. Wir wollen Deutsch-
land zu einem führenden Start-up-Standort Europas machen, und so hochwertige Arbeitsplätze in
den Regionen schaffen. Um mehr Unternehmensgründungen anzuregen und mittelständischen
Unternehmen eine sinnvolle Nachfolgeplanung zu ermöglichen, setzen wir auf drei Kernpunkte:
Organisatorische Unterstützung wie One-Stop-Agenturen für Gründer*innen, erleichterter Zugang
zu Kapital durch Projektförderung sowie öffentliche Fonds für Wagniskapital und eine “Kultur der
zweiten Chance”, auch im Insolvenzrecht. Existenzgründungen von Frauen und in der Fläche wer-
den wir mit eigenen Programmen gezielt fördern.
Wir wollen Unternehmen unterstützen, für die der Sinn ihrer wirtschaftlichen Aktivität und der
langfristige Bestand ihres Unternehmens wichtiger sind als der kurzfristige Gewinn. Dazu werden
wir eine nationale Strategie für die Förderung gemeinwohlorientierter Unternehmen und sozialer
Innovationen entwickeln. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirt-
schaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften, Sozialunternehmen, Integrationsunternehmen
und Unternehmen in Verantwortungseigentum, werden wir verbessern. Für die Förderung einer
sozialökologischen und digitalen Transformation unserer Wirtschaft gibt es bereits dezentrale
Strukturen – wir wollen sie zu Transformationszentren als Werkstätten des Wandels bündeln und
weiterentwickeln, die sich sowohl an etablierte Unternehmen als auch an Sozialunternehmen
und nicht-exit-orientierte Start-ups sowie an Beschäftigte, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft
richten.
Solidarität werden wir weiterhin den Wirtschaftsbereichen zukommen lassen, die in der Corona-
Pandemie zugunsten der Gesundheit aller besondere Einbußen hinnehmen mussten. Das gilt für
die Kulturwirtschaft, ebenso für die Tourismuswirtschaft, inklusive des Hotel- und Gaststätten-
wesens, die nach der Pandemie andere sein werden als zuvor. Viel stärker als bisher wird sich der
Fokus auf den inländischen Tourismus richten. Darin steckt eine Chance, diesen zentralen Wirt-
schaftszweig nachhaltig, klimabewusst und modern auszurichten.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 21SPD-Parteivorstand 2021
2.6. Wie wir Wissenschaft und Forschung innovativ
und zukunftsfähig halten
Um auch in Zukunft innovativ zu bleiben, werden wir die Stärken des deutschen Wissenschafts-
systems in seiner ganzen Breite und Vielfalt und seiner internationalen Ausrichtung erhalten und
weiterentwickeln. Dazu fördern wir Zukunftstechnologien wie zum Beispiel Quantentechnik,
Künstliche Intelligenz, Alternativverfahren und Wasserstoff an vielen Orten im Land. Für den per-
spektivischen Ausstieg aus den Tierversuchen werden wir eine Gesamtplanung aufsetzen und die
Entwicklung von tierversuchsfreien Verfahren stärker fördern.
Wir werden die Universitäten und Fachhochschulen dabei unterstützen, die Digitalisierung voran-
zutreiben, Innovationen in guter Lehre fördern und zugleich ihre forschungspolitische Bedeutung,
die weit in die jeweiligen Regionen ausstrahlt, stärken. Um aktuelle und kommende gesellschaft-
liche Herausforderungen zu meistern, braucht es neben technischen auch kulturelle und soziale
Innovationen. Daher werden wir die geistes-, sozial-, und kulturwissenschaftliche Forschung ge-
zielt fördern. Die Exzellenzstrategie entwickeln wir weiter und ergänzen sie um die Unterstützung
regionaler Kooperationen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das wird auch dazu bei-
tragen, dass die ausgezeichnete Forschungslandschaft, die die ostdeutschen Länder in den vergan-
genen Jahrzehnten aufgebaut haben, ihr Exzellenzpotential weiter entfalten kann, insbesondere
in Bezug auf die Erforschung innovativer Technologien.
Gute Wissenschaft braucht gute Arbeitsbedingungen. Wir werden uns für verlässliche Karrierewe-
ge und weniger Befristungen in der Wissenschaft einsetzen. Wir wollen, dass Promovierende für
ihre tatsächliche Arbeitszeit bezahlt werden, unabhängig vom Fach. Es muss gelten: 100 Prozent
Gehalt für 100 Prozent Arbeit. Wir werden für eine deutlich bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf sorgen, neue, dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten unterhalb der Professur schaffen
und den Tenure-Track ausweiten.
Wir haben den Zielwert gesamtstaatlicher, also öffentlicher und privater Ausgaben für Forschung
und Entwicklung, von drei Prozent des BIP bereits in den letzten Jahren übertroffen und wollen ihn
weiter auf mindestens 3,5 Prozent steigern. Wir werden dazu die Innovationsförderung aufsto-
cken, die Forschung in die mittelständische Praxis mit Partnerschafts- und Kooperationsförderun-
gen vorantreiben und die Förder- und Kreditprogramme für den Mittelstand im Bereich Umwelt-,
Klima- und Ressourcenschutz ausbauen. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) werden einen
niederschwelligen Zugang zu Fördermitteln erhalten.
Eine besondere Bedeutung kommt dem Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit der
Gesellschaft zu. Wir werden deshalb mehr Fördergelder für Open Science und Wissenschaftskom-
munikation bereithalten.
Damit Europa im internationalen technologischen Wettbewerb bestehen und seine Souveränität
behaupten kann, werden wir in der Europäischen Union gemeinsam weiter geschlossen voran-
gehen. Wir setzen uns für ein neu geordnetes Wettbewerbs- und Beihilferecht ein, das Wettbe-
werbsnachteile gegenüber anderen großen Wirtschaftsräumen verringert. Die sozial-ökologische
Transformation erfordert umfangreiche Investitionen in den klimaneutralen Umbau industrieller
Wertschöpfungsketten. Das Beihilferecht muss es dem Staat ermöglichen, den nötigen Kapitalein-
satz in den Unternehmen mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen und auf diese Weise Arbeits-
plätze zu erhalten.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 22SPD-Parteivorstand 2021
2.7. Wie wir unsere Politik finanzieren wollen
Die Corona-Pandemie hat gravierende Auswirkungen. Auch auf die öffentlichen Haushalte. Wäh-
rend die Steuereinnahmen zurückgehen, sind die staatlichen Ausgaben gestiegen. Eine Politik
der Austerität nach der Krise wäre ein völlig falscher Weg. Wer diesen Weg verfolgt, setzt unsere
Zukunft aufs Spiel oder will harte Einschnitte in den Sozialstaat. Wir stehen für eine Finanz- und
Haushaltspolitik, die die großen Zukunftsinvestitionen finanziert und so zukunftsfähige Arbeits-
plätze schafft, ein klimaneutrales Wachstum ermöglicht und den gesellschaftlichen Zusammen-
halt stärkt.
Daher gilt für uns: Die Finanzierung der in diesem Zukunftsprogramm formulierten Schwerpunkte
stellen wir sicher. Dazu werden wir die verfassungsrechtlich möglichen Spielräume zur Kreditauf-
nahme nutzen. Die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen ist eine Grundvorausset-
zung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die extrem ungleiche Verteilung von Einkom-
men und Vermögen ist nicht nur sozialpolitisch bedenklich, sie ist auch ökonomisch unvernünftig.
Die hohe und weiterwachsende Konzentration des Vermögens auf einige Hochvermögende ver-
hindert nachhaltiges Wachstum und verschenkt wertvolle Potenziale.
Wir werden der Steuergerechtigkeit Geltung verschaffen – Steuerhinterziehung ist kein Kavaliers-
delikt. Gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Steuerbetrug werden wir konsequent
vorgehen. Wir haben grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle der Anzeigepflicht unter-
worfen und werden eine nationale Anzeigepflicht einführen. Wir werden die Umgehung der
Grunderwerbsteuer (Share Deals) beenden. Der Umsatzsteuerbetrug bei Karussellgeschäften auf
europäischer Ebene muss beendet werden. Die öffentliche Transparenz ist ein gutes Mittel, um
Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Wir werden Steuervermeidung mit einem öffentlichen
Reporting großer, international agierender Unternehmen eindämmen (Public Country-by-Country-
Reporting).
Die Besteuerung von Einkommen werden wir gerechter gestalten. Das aktuelle Steuersystem
nimmt gerade mittlere Einkommen zu stark in Anspruch. Die finanziellen Lasten der Krisenbewäl-
tigung dürfen für die ohnehin stark strapazierte große Mehrheit der Bürger*innen nicht zu einer
steuerlichen Mehrbelastung führen. Im Gegenteil: Wir wollen die Steuern für die Mehrheit senken.
Wir werden eine Einkommensteuerreform vornehmen, die kleine und mittlere Einkommen besser-
stellt, die Kaufkraft stärkt und dafür im Gegenzug die oberen fünf Prozent stärker für die Finanzie-
rung der wichtigen öffentlichen Aufgaben heranzieht.
Für diejenigen, die besonders viel verdienen, halten wir zudem an dem Aufschlag von drei Pro-
zentpunkten zur Einkommensteuer fest. Er soll künftig bei Verheirateten für den zu versteuernden
Einkommensanteil oberhalb von 500.000 Euro im Jahr, bei Ledigen ab 250.000 Euro im Jahr gelten.
Wir wollen die Bemessungsgrenze zur Erhebung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflege-,
Renten- und Arbeitslosenversicherung regelmäßig anpassen.
Den Solidaritätszuschlag haben wir für die allermeisten Bürger*innen abgeschafft. Die Einnahmen
aus dem verbliebenen Solidaritätszuschlag, den nur noch die Spitzenverdiener*innen zahlen, wer-
den wir weiter brauchen. Er ist ein gerechter Beitrag zu einem stabilen Gemeinwesen, das allen
nutzt.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 23SPD-Parteivorstand 2021
Das geltende Steuerrecht befördert die klassische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen.
Das werden wir ändern und das Steuerrecht stärker auf Partnerschaftlichkeit ausrichten sowie
die Steuerlast bei unterschiedlich hohen Einkommen zwischen den Eheleuten gerecht verteilen.
Das Ehegattensplitting bildet die gesellschaftliche Realität nicht mehr ab und schließt viele Haus-
halte mit Kindern von dem gewährten Steuervorteil aus. Nutznießer sind stattdessen vor allem
Alleinverdiener-Ehepaare mit hohen Einkommen unabhängig von der Kinderzahl. Wir werden das
Ehegattensplitting für neu geschlossene Ehen ändern. Die allermeisten Haushalte mit Kindern
werden durch die Kindergrundsicherung finanziell bessergestellt werden. Normalverdienende
auch ohne Kinder werden keine Einbußen erleiden. Für bestehende Ehen werden wir zudem ein
Wahlrecht einführen.
Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Manager*innengehältern werden wir begrenzen, und zwar
auf das 15-fache des Durchschnittseinkommens der Beschäftigten in dem Betrieb, in dem die
Manager*in beschäftigt ist.
Bislang gilt bei förderwürdigen Aufwendungen wie zum Beispiel Spenden: Je höher das Einkom-
men, desto höher die Steuerrückerstattung. Zukünftig soll jede*r eine einkommensunabhängige
Steuerminderung erhalten.
Wir wollen die Vermögensteuer wieder in Kraft setzen, auch um die Finanzkraft der Länder für
wichtige Zukunftsaufgaben zu verbessern. Wer sehr viel Vermögen hat, muss einen größeren Bei-
trag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten. Deshalb werden wir unter anderem einen
maßvollen, einheitlichen Steuersatz von einem Prozent für sehr hohe Vermögen einführen. Gleich-
zeitig wird es hohe persönliche Freibeträge geben, so dass sich die Steuerbelastung auf besonders
vermögende Teile der Bevölkerung konzentriert. Wir stellen sicher, dass mit der Vermögenssteuer
keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Die Grundlage von Betrieben wird bei der Vermögenssteuer
verschont.
Die Erbschaftssteuer ist reformbedürftig. In ihrer gegenwärtigen Form ist sie ungerecht, da sie ver-
mögende Unternehmenserben bevorzugt. Mit einer effektiven Mindestbesteuerung werden wir
die Überprivilegierung großer Betriebsvermögen abschaffen. Auch für vermögenshaltende Fami-
lienstiftungen werden wir eine Mindestbesteuerung einführen.
Wir werden eine Finanztransaktionssteuer einführen, möglichst im Einklang mit unseren europäi-
schen Partnern. Zugleich werden wir die von uns maßgeblich mit unterstützten internationalen
Verhandlungen zur Einführung einer effektiven Mindestbesteuerung und einer fairen Besteuerung
so genannter Digitalunternehmen zum Abschluss bringen und in Deutschland und Europa umset-
zen. Google, Amazon, Facebook und andere große Digitalunternehmen müssen einen angemesse-
nen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten.
Wir brauchen einen leistungsfähigen, sicheren und fairen Finanzmarkt, um den Wandel in eine
digitale und nachhaltige Wirtschaft finanzieren zu können. Er muss ordentlich reguliert und über-
wacht werden. Wir werden sicherstellen, dass den Verbraucher*innen die Finanzierungsdienst-
leistungen kostengünstig angeboten werden und Investitionen in nachhaltige, klimafreundliche
Produkte und Produktionsverfahren fördern.
Für das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit und Sicherheit von Finanzmarktakteuren und
Finanzprodukten ist es gerade für Kleinanleger*innen wichtig, dass sie eine unabhängige und an
ihren Interessen orientierte Beratung erhalten können.
Überschuldeten Privatpersonen werden wir besser aus einer nicht aus eigener Kraft überwindba-
ren finanziellen Not helfen. Die Schuldnerberatung werden wir stärken. Durch ausgeweitete vor-
sorgende Beratungsmöglichkeiten soll der Weg in die Überschuldung am besten von vornherein
vermieden werden.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 24SPD-Parteivorstand 2021
Um den Finanzstandort Deutschland zum Motor einer nachhaltigen Transformation der Finanz-
und Realwirtschaft in Einklang mit den Pariser Klimaschutzzielen zu machen, werden wir künf-
tig noch mehr nachhaltige Staatsanleihen auflegen und auf weitere als nachhaltig zertifizierte
Finanzprodukte hinwirken. Das Ziel ist, private Kapitalflüsse in den Auf- und Ausbau nachhaltiger
Wirtschaftsstrukturen zu lenken.
Der Wettbewerb im Finanzsektor soll erhalten bleiben und die Bankenregulierung muss bewirken,
dass staatliche Rettungsschirme für einzelne Banken nicht notwendig werden. Wir unterstützen
die EU-Kommission dabei, darauf im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle zu achten.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stärke-
re Kontroll-Kompetenzen erhält. Wir haben bei der Prüfung von Jahresabschlüssen der Unterneh-
men eine Überprüfung unmittelbar durch die BaFin ermöglicht. Sie kann nun hoheitlich prüfen,
da Jahresabschlüsse die wichtigste Informationsquelle für Anleger*innen und Verbraucher*innen
sind. Zudem haben wir die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer*innen verschärft und geregelt,
damit sie häufiger als bisher gewechselt werden müssen. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein,
dass die BaFin mehr Kompetenzen bei der Geldwäscheaufsicht auch für große Unternehmen über
ihre bisherige Aufsichtszuständigkeit hinaus erhält. Schmutziges Geld darf in Deutschland keine
Heimat finden.
Der Zoll ist neben der Polizei eine wichtige Institution im Kampf gegen Geldwäsche und Kriminali-
tät. Wir werden die Kompetenzen des Zolls weiter stärken und die für dessen Wahrnehmung der
Aufgaben verbundene Personalausstattung und Ausrüstung im Bereich illegale Beschäftigung und
Schwarzarbeit, organisierte Kriminalität, Geldwäsche wirkungsvoll unterstützen.
Wir lehnen eine Privatisierung von Währungen ab. Dies gilt auch für private digitale Währungen,
die in ihrem Wert künstlich stabil gehalten werden (Stablecoins).
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 2Seite > 25SPD-Parteivorstand 2021
2.8. Wie wir regieren wollen
Wir wollen vorausschauender, wirksamer, agiler und nachhaltiger regieren und dabei mehr Trans-
parenz, mehr Beteiligung, mehr Demokratie wagen.
Unsere föderale Struktur ist eine unserer demokratischen Stärken. Im Bund, den Ländern, Städten,
Landkreisen und Gemeinden wird die Zukunft ausgehandelt. Zugleich besteht die große Heraus-
forderung darin, gemeinsame Ziele für unsere Zukunft zu verfolgen. Wir werden daher alle, die
Verantwortung tragen, in die Umsetzung unserer großen Ziele mit einbeziehen.
Das Silodenken der politischen Ebenen und Ressorts wollen wir überwinden und innovativ Re-
gierungsprojekte in Plattformen organisieren. Denken außerhalb alter Muster ist gefragt. Wir
brauchen eine Modernisierungsoffensive für den öffentlichen Dienst und eine bessere Zusammen-
arbeit der Verwaltung. In die Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von Projekten wollen wir
wissenschaftliche und wirtschaftliche Expertise, Verbände und die Zivilgesellschaft einbinden und
das Parlament in seiner Kontrollfunktion stärken.
Die demokratische Gestaltung des digitalen Wandels, die alle Lebensbereiche umfasst, alle gesell-
schaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Felder und Ebenen, ist ein Beispiel für die Überfor-
derung herkömmlicher Organisationsformen mit den Aufgaben unserer Zeit.
Zum nachhaltigen Regieren gehört, dass Regierungsvorhaben, Projekte und Gesetze in ihrer Um-
setzung kommunikativ begleitet werden. Außerdem muss die Umsetzung in den zuständigen
Verwaltungseinheiten, durch hinreichende Personalausstattung und geeignete Fortbildungsmaß-
nahmen sichergestellt werden.
Die Prinzipien offenen Regierungshandelns - Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit -
sind für uns handlungsleitend. Wir werden die Nationalen Aktionspläne im Rahmen der Open
Government Partnership Deutschlands umsetzen und weiterentwickeln.
Wir werden die Erfahrungen mit Bürgerräten aufgreifen und es uns zur Aufgabe machen, neue
Wege der unmittelbaren Beteiligung an staatlichen Entscheidungen zu gehen. Durch eine syste-
matische und frühzeitige Beteiligung der Bürger*innen an staatlichen Projekten können Rechtswe-
ge verkürzt und Verfahren beschleunigt werden.
Das Informationsfreiheitsrecht werden wir zu einem wirksamen Transparenzrecht weiterentwi-
ckeln und ausbauen. Wir werden öffentliche Daten und Informationen kostenlos und diskrimi-
nierungsfrei bereitstellen. Durch einen legislativen und exekutiven Fußabdruck machen wir den
Einfluss von Lobbyist*innen bei Gesetzesentwürfen sichtbar. Damit werden Entscheidungsprozes-
se nachvollziehbar.
Wir werden dafür sorgen, dass Abgeordnete zukünftige ihre Einkommen auf Euro und Cent ange-
ben müssen. Ebenso werden wir für Abgeordnete die Anzeigepflicht für Unternehmensbeteiligung
und Aktionenoptionen verschärfen und klar regeln, wann ein Interessenkonflikt zwischen parla-
mentarischer und wirtschaftlicher Arbeit vorliegt und wie er zu lösen ist.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 27SPD-Parteivorstand 2021
3.0. Eine Gesellschaft des Respekts
Wir stehen für eine Gesellschaft des Respekts. Eine Gesellschaft, in der wir uns gegenseitig aner-
kennen, auch wenn wir in vielerlei Hinsicht verschieden sind. Eine Gesellschaft, in der niemand auf
andere herabschaut und in der Meinungsverschiedenheiten fair, zivilisiert und auf Basis unserer
demokratischen Grundsätze ausgetragen werden.
Wo dieser Respekt fehlt, zerfällt unsere Gesellschaft. Hassreden im Internet zersetzen unsere Ge-
sellschaft. Das ist der Nährboden für Rechtsextreme. Unsere Politik zielt darauf ab, den Respekt
wiederherzustellen.
Sie achtet die Würde jeder Arbeit und jede Lebensleistung.
Sie steht für gleiche Teilhabe und gleiche Lebenschancen für alle. Sie sorgt für gleichwertige Le-
bensverhältnisse in Stadt und Land.
Sie ist konsequent gegen jede Form von Diskriminierung, egal ob es um soziale Herkunft, Ge-
schlecht, Migrationsbiografie, Religion, Behinderung oder sexuelle Orientierung geht.
Sie steht für politische und soziale Bürger*innenrechte. Sie steht aber auch für Pflichten. Dazu ge-
hört, dass sich alle an Gesetze halten.
3.1. Arbeit wertschätzen
Unser Ziel ist Vollbeschäftigung mit gerechten Löhnen. Unsere Antwort auf den Wandel der
Arbeitswelt ist ein „Recht auf Arbeit“. Das bedeutet für uns, dass sich die Solidargemeinschaft
dazu verpflichtet, sich um Jede*n zu kümmern und jeder*m Arbeit und Teilhabe zu ermöglichen.
Weil sich Arbeit verändert, soll jede*r alle Möglichkeiten bekommen, sich auch selbst weiterzuent-
wickeln.
Arbeit bedeutet auch die Sicherung der Existenz. Das ist ein grundlegendes Bedürfnis. Für sich
selbst und die Familie. Diese Sicherheit gibt es nur, wenn man auch langfristig planen kann: Eine
gute Wohnung finden, die Miete bezahlen, den Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen, den
Lebensstandard im Alter sichern.
Daher setzen wir uns für gerechte Löhne ein. Wir werden die Möglichkeit vereinfachen, Tarifver-
träge für allgemein verbindlich zu erklären, damit sie für alle Beschäftigten und Arbeitgeber*innen
in einer Branche gelten. Tarifverträge müssen auch weiter gelten, wenn Betriebe aufgespalten und
ausgelagert werden.
Wir wollen, dass möglichst viele Unternehmen sich an den Tarifverträgen beteiligen. Die Mitglied-
schaft in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung ist unanständig. Wir werden diese Praxis zu-
rückzudrängen. Ein öffentlicher Auftrag darf nur an Unternehmen vergeben werden, die nach Tarif
bezahlen. Dazu schaffen wir ein Bundestariftreuegesetz. Eine bessere Tarifbindung ist darüber
hinaus eine wichtige Voraussetzung, die Lohnangleichung zwischen Ost und West durchzusetzen.
Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von seiner Arbeit ohne zusätzliche Unterstützung leben kön-
nen. Auch das ist eine Frage des Respekts. Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn zunächst
auf mindestens zwölf Euro erhöhen und die Spielräume der Mindestlohnkommission für künftige
Erhöhungen ausweiten.
Die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne einen Sachgrund werden wir abschaffen und die
vom Gesetz akzeptierten Gründe für eine Befristung kritisch überprüfen. Leiharbeiter*innen wer-
den ab dem ersten Tag den gleichen Lohn erhalten wie Festangestellte.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 28SPD-Parteivorstand 2021
Die Corona-Krise hat erneut gezeigt, dass die soziale Sicherung der Minijobs unzureichend ist.
Unser Ziel ist, alle Beschäftigungsverhältnisse in die soziale Sicherung einzubeziehen. Dabei wird
es Übergänge für bestehende Arbeitsverhältnisse und Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie
zum Beispiel Rentner*innen geben. Um die Nettoeinkommen von gering Verdienenden zu erhö-
hen, heben wir die Gleitzone der Midi-Jobs auf 1.600 Euro an. In dieser Zone zahlen die Arbeitneh-
mer*innen geringere Beiträge, ohne dass sie dadurch einen geringeren Rentenanspruch haben.
Den Zugang zur Brückenteilzeit werden wir für mehr Beschäftigte möglich machen.
Corona hat ein Schlaglicht darauf geworfen, wie groß bei manchen Berufsgruppen die Lücke
zwischen Wert und Lohn ist. Dazu gehören die sozialen Dienstleistungsberufe. Es verdient große
Anerkennung, dass immer mehr junge Menschen es sich vorstellen können, soziale Berufe zu er-
greifen, Mädchen genauso wie Jungen - es sind Berufe mit Bedeutung und Zukunft. Hier entstehen
die meisten Arbeitsplätze.
In der Pflege wird enorme und gesellschaftlich wertvolle Arbeit geleistet. Wir wollen die Lohn- und
Arbeitsbedingungen in der Altenpflege und Pflege von Menschen mit Behinderung schnell verbes-
sern. Unsere Ziele sind allgemeinverbindliche Branchentarifverträge. Wie werden über die Pflege-
mindestlohnkommission eine weitere Erhöhung der Mindestlöhne verfolgen. Gemeinsam mit den
Kirchen wollen wir einen Weg erarbeiten, ihr Arbeitsrecht dem allgemeinen Arbeits- und Tarif-
recht sowie der Betriebsverfassung anzugleichen. Wir haben dafür gesorgt, dass Pflegeanbieter,
die nach Tarif zahlen, diese auch von der Pflegeversicherung refinanziert bekommen. Nun werden
wir im Umkehrschluss die Refinanzierung der Pflegeleistungen an die Geltung von Tarifverträgen
binden.
Es gibt einen gewaltigen Personalmangel in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Soziale
Arbeit aufwerten heißt für uns auch, dass die Arbeits- und Stressbelastung gesenkt werden muss.
Wir werden deshalb den Vorschlag eines neuen, bundesweiten und einheitlichen Personalbemes-
sungsrahmens voranbringen. Pfleger*innen müssen sich beruflich weiterentwickeln können.
Auch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird von gut ausgebildeten Fachkräften geleistet.
Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sozialpädagog*innen und Beschäftigte in der Jugendhilfe machen
mit großem Engagement und viel Leidenschaft ihre Arbeit, doch auch hier fehlt es an Personal.
Mit gezielten Impulsen zur Fachkräftesicherung werden wir die Länder beim weiteren Ausbau von
Kitas, Ganztagsbetreuung an Schulen und Jugendeinrichtungen unterstützen. Unser Ziel ist es,
die Zahl der Nachwuchskräfte in den erzieherischen Berufen bis 2030 bundesweit zu verdoppeln.
Dafür werden wir eine attraktive, vergütete und schulgeldfreie Ausbildung schaffen, für mehr
Ausbildungskapazitäten an Fachschulen und in den Studiengängen zur sozialen Arbeit und Kind-
heitspädagogik sorgen, mehr Karriereoptionen für die Fachkräfte schaffen und Beschäftigungsver-
hältnisse anstreben, die eine eigenständige Existenzsicherung ermöglichen.
Die Krise hat gezeigt, wie unverzichtbar und wichtig funktionierende Postdienste und Paketdiens-
te für die Daseinsvorsorge in Deutschland sind. Die Arbeitsbedingungen in dieser Branche sind oft
schlecht. Es gibt viele ungesicherte Arbeitsverhältnisse durch Scheinselbständigkeit und Subunter-
nehmertum. Eine Zerschlagung der Deutschen Post und eine vollständige Privatisierung werden
wir verhindern und unfaire Wettbewerbsvorteile von Digitalkonzernen auch in diesem Bereich
beseitigen. Wir werden die Branche sozial und ökologisch ausrichten.
Der Erfolg der Unternehmen wird von ihren Beschäftigten erarbeitet. Deshalb verbessern wir
deren Mitbestimmung. Wir werden sie auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform erweitern.
Wir werden den Geltungsbereich der Mitbestimmung durch die Absenkung der Schwellenwerte
der Unternehmensgrößen erweitern. Entscheidungen zur Verlagerung oder Schließungen von Be-
triebsstandorten sollen nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg getroffen werden. Darum
stärken wir durch eine echte Parität in den Aufsichtsräten den Einfluss der Arbeitnehmer*innen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 29SPD-Parteivorstand 2021
Die neuen technologischen Möglichkeiten bieten die Chance, die Arbeitsbedingungen in Unter-
nehmen und Betrieben zu verbessern, Belastungen zu verringern und die Handlungsspielräume
der arbeitenden Menschen zu erweitern. Bei der Digitalisierung der Unternehmen müssen die
Belegschaften auf Augenhöhe beteiligt werden.
Die letzte große Reform der Betriebsverfassung liegt 20 Jahre zurück und braucht ein Update.
Unsere Ziele: Mehr echte Mitbestimmungsrechte bei der Beschäftigtensicherung und Betriebsän-
derungen, beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen, beim Einsatz neuer Technologien und
Arbeitsweisen wie die der Künstlichen Intelligenz (KI), bei der Personalbemessung, damit Überlas-
tungen beseitigt werden und bei der betrieblichen Weiterbildung als eine zentrale Voraussetzung
für gelungenen Wandel. Wir werden den Kündigungsschutz für Betriebsrät*innen ausweiten und
eine Behinderung von Betriebsratsarbeit stärker verfolgen.
Mit der Digitalisierung wird Arbeit immer häufiger ortsunabhängig erledigt oder über Plattformen
organisiert. Auch hier müssen Arbeitnehmer*innenrechte unvermindert gültig und wirksam sein.
Gewerkschaften sollen ein digitales Zugangsrecht zum „virtuellen“ Betrieb erhalten. Beschäftigte
auf Plattformen sollen sich zusammenschließen können, um gemeinsam grundlegende Bedingun-
gen ihrer Tätigkeit mit den Plattformen aushandeln können. Wir wollen, dass der Arbeitnehmer-
status einfacher geklärt werden kann. Wir werden ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften
und ein Beschäftigtendatenschutzgesetz einführen.
Die Corona-Krise hat Teile der Arbeitswelt auf den Kopf gestellt, das Homeoffice hat an Bedeutung
gewonnen. Der Schreibtisch in den eigenen vier Wänden und Videokonferenzen statt persönlicher
Begegnung waren anfangs ungewohnt, sind aber inzwischen Alltag und Routine für viele Bür-
ger*innen.
Wir werden einen Rechtsanspruch auf mobile Arbeit einführen. Grundsätzlich sollen Beschäftigte
bei einer Fünf-Tage-Woche mindestens 24 Tage im Jahr mobil oder im Homeoffice arbeiten kön-
nen, wenn es die Tätigkeit erlaubt. Klar ist, dass das nicht in Rundum-die-Uhr-Arbeiten ausarten
darf – auch im Homeoffice müssen Arbeits- und Ruhezeiten gelten, die Arbeitszeit muss jeden Tag
vollständig erfasst werden und es braucht ein Recht auf Nichterreichbarkeitszeiten, auf technische
Ausstattung sowie guten Unfallversicherungsschutz. Um betriebliche Regelungen zur mobilen
Arbeit zu fördern, schaffen wir ein Mitbestimmungsrecht zur Einführung und bei der Ausgestal-
tung mobiler Arbeit. Der Grundsatz der Freiwilligkeit der mobilen Arbeit für Arbeitnehmer*innen
ist für uns Voraussetzung.
Wir sorgen dafür, dass vom Wandel der Arbeitswelt alle profitieren. Dazu gehört, dass Arbeitszei-
ten besser zum Leben passen und Menschen mehr selbstbestimmte Zeit haben – etwa für Familie,
soziales Engagement und Weiterbildung. Wir werden die Schutzfunktion des Arbeitszeitgesetzes
erhalten. Eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit schließen wir aus. Wenn die Arbeit durch
Produktivitätsgewinne weniger werden sollte, müssen alle davon profitieren. Da wo Gewerkschaf-
ten für die Absenkung von Arbeitszeit streiten, um mehr selbstbestimmte Zeit zu ermöglichen
oder Beschäftigung zu sichern, stehen wir an ihrer Seite.
Für viele Menschen ist Selbständigkeit eine attraktive Form der Erwerbstätigkeit. Unternehmer-
geist fördert dringend benötigte Innovationen. Wir schaffen ein Klima, das Selbständigkeit positiv
aufnimmt und unterstützt. Dazu gehört, dass offensichtliche Schutzlücken bei kleinen Selbstän-
digen und Kreativen beseitigt werden und deren soziale Absicherung verbessert wird. Die Corona-
Krise hat uns deutlicher denn je vor Augen geführt, wie schnell man ohne eigenes Zutun in Not
gerät und wie schnell Rücklagen aufgebraucht sind. Wir werden darum Solo-Selbständige, dar-
unter sind beispielsweise viele Künstler*innen, Autor*innen, Maler*innen, Übersetzer*innen, Ent-
wickler*innen, besser absichern. Dafür werden wir die Absicherung in der Künstlersozialversiche-
rung ebenso wie in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung verbessern. Der Wechsel
zwischen versicherungspflichtiger Beschäftigung und Selbständigkeit ist keine Ausnahme mehr.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 30SPD-Parteivorstand 2021
Wer Neues wagt, braucht Sicherheit. Die bestehende freiwillige Weiterversicherung in der Arbeits-
losenversicherung bietet ein solches Netz. Wir werden den Zugang verbessern und mehr Sicher-
heit im Bedarfsfall schaffen. Die Regelungen für die ständigen und nicht ständig Beschäftigten
zum Beispiel im Bereich des Films und der Theater werden wir deutlich vereinfachen und die
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung stärken und ausbauen. Wir werden eine grundsätz-
liche Pflicht zur Altersvorsorge einführen und Selbständige schrittweise in die gesetzliche Renten-
versicherung integrieren. Die Mindestbeiträge zur Krankenversicherung für Selbständige haben
wir bereits um mehr als die Hälfte gesenkt. Unser Ziel sind einkommensabhängige Beiträge wie
bei abhängig Beschäftigten.
Wir werden auch Solo-Selbständige besser absichern, deren Geschäftsmodell sie grundsätzlich
trägt, wo jedoch unvorhersehbare erhebliche Einnahmeausfälle, etwa durch den kurzfristigen
Wegfall von Auftraggebern, zu Notlagen führt. Mit einem Sicherungsgeld schaffen wir einen
neuen Weg der solidarischen Absicherung für Selbständige in Notlagen, die über branchen- und
saisonübliche Schwankungen hinausgehen, durch die Bundesagentur für Arbeit. Das Sicherungs-
geld soll mit Leistungen der Arbeitslosenversicherung vergleichbar sein. Das durch Beiträge der
Selbständigen finanzierte Sicherungsgeld hat dabei Vorrang vor Leistungen der Grundsicherung.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 31SPD-Parteivorstand 2021
3.2. Berufschancen erhöhen
Wir setzen uns für eine Ausbildungsgarantie ein. Junge Berufsanfänger*innen brauchen eine
Chance, in das Berufsleben einzusteigen. Sie verdienen Respekt ebenso wie jene, die einen be-
ruflichen Neustart wagen. Für uns bleibt die Vermittlung junger Menschen in eine betriebliche
Ausbildung oberstes Ziel. Denn die duale Ausbildung ist ein Erfolgsmodell, das wir vollumfänglich
stärken wollen. Alle Unternehmen, vor allem größere, müssen jedoch mehr Verantwortung für
die Schaffung von ausreichend Ausbildungsplätzen übernehmen. Wir unterstützen das Mittel der
Umlagen bzw. Fonds, beispielsweise branchenbezogen, dort wo unterhalb des Bedarfs ausgebildet
wird. Alle jenen ohne betrieblichen Ausbildungsplatz ermöglichen wir eine eng an die betriebliche
Praxis angelehnte Ausbildung in einer Berufsschule oder eine außerschulische Ausbildung. Der
Wechsel in eine betriebliche Ausbildung hat für uns hier zu jedem Zeitpunkt Priorität.
Wir werden zudem unseren Weg fortsetzen, in den Berufen der Gesundheit, Pflege und Erziehung
die vollschulischen Ausbildungen dual auszurichten. Damit werden sie kostenfrei und die Auszu-
bildenden erhalten eine Vergütung. Zudem werden wir die dualen akademischen Ausbildungswe-
ge und damit die Bedeutung der Professionalität in diesen Berufsfeldern stärken, Qualität sichern
und Karriereoptionen für die Beschäftigten eröffnen.
Den Lernort Berufsschule werden wird stärken, vor allem im ländlichen Raum und in struktur-
schwachen Regionen. Dafür schließen wir einen Pakt für berufsbildende Schulen von Bund,
Ländern und Schulträgern zusammen mit den Sozialpartnern. Im Vordergrund stehen dabei die
Modernisierung der technischen Ausstattung und eine verbesserte Sicherung des Lehrkräfte-Nach-
wuchses. Um berufliche und akademische Bildung besser zu verzahnen, werden wir das duale Stu-
dium besser fördern. Den Weg der Gebührenfreiheit bei der Aufstiegsfortbildung setzen wir fort.
Unsere Arbeit befindet sich im Wandel. Durch die technologische Entwicklung gehören manche
Berufsbilder inzwischen der Vergangenheit an oder werden in naher Zukunft verschwinden oder
sich verändern. Gleichzeitig entstehen neue Berufsbilder, die Zukunft versprechen. Damit alle, die
damit verbundenen Möglichkeiten nutzen können, lenken wir unser Augenmerk auf die Weiter-
bildung.
Wir wollen die Arbeitslosenversicherung zu einer solidarischen Arbeitsversicherung weiterent-
wickeln. Sie soll nicht erst im Fall der Arbeitslosigkeit auf den Plan treten, sondern dabei helfen,
diese gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Bundesagentur für Arbeit bauen wir darum zur Bun-
desagentur für Arbeit und Qualifizierung um, die ein hochwertiges und individuelles Beratungs-
angebot gewährleistet. Wir werden einen Anspruch auf Qualifizierung einführen, der bereits nach
drei Monaten ohne neue Erwerbsarbeit greift (Arbeitslosengeld Q). Damit halten wir den Betroffe-
nen den Rücken frei, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können: Neue Arbeit zu finden,
um wieder auf eigenen Beinen zu stehen.
Wir schaffen ein Recht auf Weiterbildung und beruflichen Neustart in allen Lebensphasen. Jede*r
einzelne wird bei den bevorstehenden Veränderungen unterstützt. Wir werden ein Recht schaffen,
das es Arbeitnehmer*innen auch mit 40plus ermöglicht, noch einmal einen ganz neuen Beruf zu
erlernen.
Mit unserem Modell der geförderten Bildungszeit und Bildungsteilzeit werden wir ermöglichen,
dass alle Erwerbstätigen im Lauf ihres Erwerbslebens auf eigene Initiative und mit staatlicher
Unterstützung unabhängig vom Betrieb sich weiterbilden oder umschulen können. Wer Bildungs-
zeit oder Bildungsteilzeit beantragt, erhält ein Recht, sich von seinem Beruf freistellen zu lassen
oder die Arbeitszeit zu reduzieren. Die Bildungszeiten werden wir mit einer finanziellen Förde-
rung ausgestalten, die Lohneinbußen während der Weiterbildung oder Umschulung angemessen
kompensiert – und zwar lange genug, um anerkannte Abschlüsse zu erwerben. Bei den Kosten für
die Weiterbildungsmaßnahme werden wir diejenigen unterstützen, die die Mittel nicht oder nicht
vollständig aus eigener Tasche aufbringen können.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 32SPD-Parteivorstand 2021
Mit einem Transformations-Kurzarbeitergeld unterstützen wir die Qualifizierung von Beschäftig-
ten in Betrieben, die sich neu orientieren müssen.
Neben der individuellen Weiterbildungsförderung wollen wir die Möglichkeiten eines Beschäftig-
tentransfers stärker fördern, wenn betriebliche Umstrukturierungen oder Betriebsschließungen
unvermeidlich sind.
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) soll in Zukunft wieder mehr junge Erwachsene
erreichen. Dafür weiten wir die Förderansprüche aus und streben eine schrittweise Rückkehr zum
Vollzuschuss an. Das neue Kindergeld ist eine Basisabsicherung für alle bis zum Alter von 25 Jah-
ren. Es macht das BAföG elternunabhängiger. Zugleich werden wir das BAföG und das Aufstiegs-
BAföG besser aufeinander abstimmen und perspektivisch zusammenführen. Die Altersgrenzen im
BAföG werden wir dazu in einem ersten Schritt aufheben. Und wir brauchen ein Neustart-BAföG,
das auch im Erwachsenenalter neue berufliche Wege öffnen und angemessen den Lebensunter-
halt sichert.
Bereits jetzt besteht die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer*innen ihre geleisteten Arbeitsstunden
auf Langzeitkonten ansparen. Allerdings besteht bislang kein rechtlicher Anspruch darauf und nur
ein kleiner Teil der Unternehmen und Arbeitnehmer*innen nutzt Langzeitkonten. Wir werden das
Instrument zu einem persönlichen Zeitkonto weiterentwickeln, um zusätzlich individuelle Ge-
staltungsmöglichkeiten entlang des Lebenslaufs zu schaffen. Basis eines solchen Zeitkontos sind
Zeiteinzahlungen der Beschäftigten – auf diese Weise gehen Überstunden nicht verloren, sondern
verwandeln sich in ein Zeitguthaben, das per Tarifvertrag oder durch den Staat nach dem Prinzip
eines Chancenkontos aufgestockt werden kann.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 33SPD-Parteivorstand 2021
3.3. Solidarität erweitern
Unser Sozialstaat ist der Garant, auf den sich alle verlassen können müssen, damit unsere Gesell-
schaft zusammenhält. Er baut auf sozialen Rechten und Pflichten auf. Bürger*innen treten ihm
nicht als Bittsteller*innen gegenüber. Wir werden den Zugang zum Arbeitslosengeld erleichtern.
Dabei haben wir insbesondere neue Beschäftigungsformen und unterbrochene Erwerbsbiogra-
phien im Blick.
Wir wollen Lebensleistungen stärker berücksichtigen. Wer länger eingezahlt hat, soll zukünftig
auch länger Arbeitslosengeld I beziehen. Für Bürger*innen, die trotz bester Unterstützung keine
Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, haben wir den sozialen Arbeitsmarkt eingeführt.
Er ebnet denjenigen, die seit vielen Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen sind, den Weg in reguläre
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Es hat sich bewährt, sinnvolle und sozial abgesicherte Tätigkeiten zu schaffen. Wir werden den
sozialen Arbeitsmarkt ausbauen und weiterentwickeln. Auch weiterhin werden wir Arbeitgeber
mit Lohnkostenzuschüssen unterstützen, die Langzeitarbeitslose sozialversicherungspflichtig ein-
stellen.
Die Grundsicherung werden wir grundlegend überarbeiten und zu einem Bürgergeld entwickeln.
Unser Bürgergeld steht für ein neues Verständnis eines haltgebenden und bürgernahen Sozial-
staats. Das Bürgergeld soll digital und unkompliziert zugänglich sein. Bescheide und Schriftwech-
sel sollen eine verständliche Sprache sprechen. Die Regelsätze im neuen Bürgergeld müssen zu
einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen. Das Bürgergeld
muss absichern, dass eine kaputte Waschmaschine oder eine neue Winterjacke nicht zur untrag-
baren Last werden. Die Kriterien zur Regelsatzermittlung werden wir weiterentwickeln und Betrof-
fene und Sozialverbände mit einbeziehen.
Das Ziel muss sein, die hilfsbedürftige Lebenslage gemeinsam zu bezwingen und allen eine Be-
schäftigung und, falls erforderlich, eine Qualifizierung und Weiterbildung zu ermöglichen. Wir set-
zen auf eine umfassende und passgenaue Unterstützung, die die gesamte Bedarfsgemeinschaft
in den Blick nimmt - auf Qualität und gute Netzwerke statt auf eine reine Kennzahlenlogik. Wir
werden die gesetzlichen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen weiter so verbessern,
dass die Jobcenter und ihre Beschäftigten diesem Auftrag nachkommen können. Wir schaffen das
Recht auf Förderung beim Nachholen eines Berufsabschlusses und führen einen Weiterbildungs-
Bonus ein, der die finanziellen Spielräume spürbar erweitert.
Wir haben wegen der Corona-Pandemie die Vermögensprüfung weitestgehend ausgesetzt. Man
läuft nicht mehr Gefahr, aus der Wohnung ausziehen zu müssen. Dadurch können sich die Be-
hörden und die Betroffenen in den ersten Monaten mit voller Energie auf eine sinnvolle Wieder-
aufnahme der Beschäftigung konzentrieren. Die guten Erfahrungen aus diesen vorübergehenden
Maßnahmen haben uns darin bestätigt, dafür zu sorgen, dass auch in Zukunft Vermögen und
Wohnungsgröße innerhalb der ersten zwei Jahre nicht überprüft werden und das Schonvermögen
erhöht wird. Das Bürgergeld beinhaltet Mitwirkungspflichten, setzt aber konsequent auf Hilfe und
Ermutigung. Eingliederungsvereinbarungen werden durch eine gemeinsame und auf Augenhöhe
erarbeitete Teilhabevereinbarung ersetzt. Bei ihrer Umsetzung setzen wir auf Befähigung und Be-
stärkung und nicht auf Vorgaben und Zwang. Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen schaffen wir
ab. Das sozioökonomische und soziokulturelle Existenzminimum muss jederzeit gesichert sein.
Die Leistungen des Sozialstaates sind soziale Rechte – wer sie benötigt, sollte nicht lange suchen
müssen. Unser Ziel ist es, die Leistungen ohne Hürden und Umwege zugänglich zu machen. Wir
wollen einen Bürgerservice, der nach Lebenslagen berät und alle Leistungen aus einer Hand zu-
gänglich macht. Er ist digital und aufsuchend, wo der Weg zu beschwerlich ist. Ein zugewandter
Sozialstaat hilft, Rechtsansprüche geltend zu machen, und begleitet auch danach beratend alle
Schritte.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 34SPD-Parteivorstand 2021
Wir werden die Beschäftigten dabei unterstützen, gesund bis zum Rentenalter zu arbeiten. Neben
Weiterbildung kommt dabei der Gesundheitsprävention eine zentrale Bedeutung zu. Dafür wol-
len wir die Aktivitäten der unterschiedlichen Sozialversicherungen für Betriebe und Beschäftigte
bündeln.
Das seelische Wohl aller Bürger*innen ist so wichtig wie die materielle Versorgung. Nicht erst die
Corona Pandemie hat Einsamkeit als eine große gesellschaftliche Herausforderung deutlich sicht-
bar gemacht. Wir werden ihr auf den verschiedenen Ebenen entgegenwirken.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 35SPD-Parteivorstand 2021
3.4. Alter absichern
Für alle Erwerbstätigen muss eine gute und verlässliche Rente nach vielen Jahren Arbeit sicher
sein. Es geht um Respekt und Wertschätzung der Arbeit und darum, sich mit eigener Arbeit eine
gute eigenständige Absicherung im Alter zu schaffen und von dem erworbenen Lebensstandard
nicht erheblich einzubüßen. Zentrale Grundlage dafür bleibt für uns die gesetzliche Rentenversi-
cherung mit ihren verlässlichen Leistungen und ihrer solidarischen Finanzierung.
Wir wollen die gesetzliche Rente stärken und stehen für eine dauerhaft stabile Rentenleistung und
ein dauerhaftes Rentenniveau von mindestens 48 Prozent. Sollten sich weitere Spielräume erge-
ben, werden wir sie nutzen. Arbeit darf ihren Wert im Alter nicht verlieren. In Parlament und Re-
gierung haben wir uns erfolgreich für die Grundrente eingesetzt. Sie ist ein Fortschritt und schützt
viele Menschen, die Jahrzehnte für geringe Löhne gearbeitet haben, vor dem Risiko im Alter arm
zu sein.
Immer wieder fordern Arbeitgeber und konservative Kräfte, dass Menschen für eine gute Rente
noch länger arbeiten sollen. Wir lehnen eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintritts-
alters ab, weil sie für viele, die nicht länger arbeiten können, eine Rentenkürzung bedeutet und
ungerecht ist. Den gesetzlichen Anspruch, dass besonders langjährig Versicherte vor Erreichen der
Regelaltersgrenze abschlagsfrei in Rente gehen können, werden wir beibehalten. Solidarität in der
Alterssicherung bedeutet für uns zudem, dass auch die Selbstständigen, Beamt*innen, freien Be-
rufe und Mandatsträger*innen der gesetzlichen Rentenversicherung angehören. Es ist an der Zeit,
die Gesamtheit der Erwerbstätigen in die Rentenversicherung aufzunehmen und die Sondersys-
teme auf lange Sicht zu überwinden. Wenn es zu einer Zusammenführung der Altersversorgung
der Beamt*innen mit der gesetzlichen Rentenversicherung kommt, wird das Gesamtniveau ihrer
Alterssicherung nicht reduziert.
Es darf nicht sein, dass jemand wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen in Armut gerät. Wir
werden daher die Armutsrisiken bei den heutigen Erwerbsminderungsrentner*innen verringern
und für sie Verbesserungen erreichen. Wir wollen eine geschlechtergerechte Rente. Unterschied-
liche Arbeitszeiten und familienbedingte Tätigkeiten bei den Renten werden wir gerechter behan-
deln. Langjährige Pflege von Eltern, Schwiegereltern oder anderen Familienmitgliedern dürfen sich
nicht mehr negativ auf die Rente auswirken und die eigene Altersarmut bedeuten. Hier brauchen
wir mehr Solidarität und Respekt vor dieser schweren Aufgabe.
Wir haben es kleinen und mittleren Unternehmen erleichtert, für ihre Beschäftigten in die be-
triebliche Altersversorgung einzusteigen. Unser ist Ziel ist, dass deutlich mehr Beschäftigte in
einer betrieblichen Altersversorgung abgesichert sind. Dabei sollten tarifvertraglich vereinbarte
kollektive Altersversorgungsformen bevorzugt werden. Zudem setzen wir uns für die vollständi-
ge Abschaffung der Vollverbeitragung sowie der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten in der
gesetzlichen Krankenversicherung ein.
Wir wollen allen gesetzlich verpflichtet Versicherten zusätzlich die Möglichkeit einräumen, sich
in angemessenem Umfang ergänzend freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versi-
chern.
Eine ergänzende private Altersvorsorge ist kein Ersatz für die gesetzliche Rente. Die bisherigen Er-
gebnisse der Riester-Rente sind nicht zufriedenstellend. Wir wollen daher bei klassischen privaten
Angeboten der Altersvorsorge bürokratische Hemmnisse abbauen und Kosten senken. Um den
Bürgerinnen und Bürgern eine attraktive private Altersvorsorge zu ermöglichen, setzen wir uns für
ein neues standardisiertes Angebot ein, das kostengünstig ist, digital und grenzüberschreitend
und (nach schwedischem Vorbild) auch von einer öffentlichen Institution angeboten wird. Die För-
derung neuer Verträge werden wir in Form von Zuschüssen auf untere und mittlere Einkommens-
gruppen beschränken.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 36SPD-Parteivorstand 2021
3.5. Füreinander einstehen
Eine Gesellschaft des Respekts misst sich auch am Umgang mit den Bürger*innen, die auf andere
angewiesen sind und gepflegt werden müssen. Wir haben bereits dafür gesorgt, dass Angehörige
mit einem Einkommen unter 100.000 Euro pro Jahr nicht mehr für die Pflegekosten herangezogen
werden. So müssen sich Eltern nicht mehr sorgen, dass ihre Kinder später für ihre Pflege aufkom-
men müssen.
Wir wollen eine Vollversicherung als Bürgerversicherung, die alle pflegerischen Bedarfe und
Leistungen abdeckt. Ein erster Schritt dorthin ist für uns, für Pflegebedürftige mit kleinen und
mittleren Einkommen den Eigenanteil zu deckeln, damit Pflege für sie bezahlbar bleibt. Zukünftige
Kostensteigerungen werden solidarisch über einen Mix aus moderat steigenden Pflegeversiche-
rungsbeiträgen und einem dynamischen Bundeszuschuss finanziert.
Die Pflegeinfrastruktur muss bedarfsgerecht ausgebaut werden.
Für uns ist es außerdem wichtig, dass Länder, Landkreise und Kommunen mehr Möglichkeiten
erhalten, darüber zu entscheiden, wo und in welcher Trägerschaft Heime entstehen. Um ihren
Sicherstellungsauftrag zu gewährleisten, müssen sie deutlich intensiver in die Entscheidungspro-
zesse eingebunden werden.
Bei Pflegebedürftigkeit wollen viele in der eigenen Wohnung bleiben. Dabei sind sie oft auf eine
24-Stunden-Pflege angewiesen. Dabei entsteht viel Rechtsunsicherheit zu den wechselseitigen
Pflichten und Rechten. Wir werden bei der Pflege und der Hilfe im Alltag für rechtliche Klarheit
sorgen.
Ein besonderes Augenmerk werden wir auf den ländlichen Raum legen. Wir werden im Rahmen
eines Modellprojektes des Bundes Dienstleistungszentren (DLZ) in kleinen Städten und Gemein-
den schaffen, in denen medizinische und haushaltsnahe Dienstleistungen vermittelt werden. Die
DLZ erkennen darüber hinaus fehlende Angebote und schaffen in Kooperation mit dem sozialen
Arbeitsmarkt und den vorhandenen Anbietern Abhilfe.
Wir werden durch eine besondere Förderung der haushaltsnahen Dienstleistungen die Vereinbar-
keit von Familie und Beruf verbessern, älteren Menschen helfen, möglichst lange in der eigenen
Wohnung zu leben, Schwarzarbeit bekämpfen und den Personen, die bislang ohne Sozialversiche-
rung in den privaten Haushalten arbeiten, eine Absicherung bei Arbeitsunfällen oder Krankheit
geben. Diese Förderung soll so ausgerichtet sein, dass sie auch von Geringverdiener*innen in An-
spruch genommen werden kann.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 37SPD-Parteivorstand 2021
3.6. Bezahlbares Wohnen
Eine Wohnung zu finden wird in vielen Lagen zu einer immer größeren Herausforderung – selbst
mit mittlerem Einkommen.
Wir werden bezahlbaren Wohnraum erhalten und neuen schaffen. Dazu werden wir alle Betei-
ligten an einen Tisch bringen. Kommunale Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, aber
auch private Wohnungsunternehmen und Vermieter*innen, die sich einer sozialverträglichen Ver-
mietung verpflichtet fühlen, sollten dabei sein wie auch die Bauwirtschaft und die Gewerkschaf-
ten.
Es gibt eine gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten vor allem für den erforderlichen Neubau
sowie die Quartiersentwicklung und den Klimaschutz. Nach wie vor ist der Neubau von 100.000
Sozialwohnungen jährlich erforderlich. Daneben führen wir eine neue Wohnungsgemeinnützig-
keit ein und fördern damit ein zusätzliches nicht gewinnorientiertes Segment auf dem Wohnungs-
markt.
In angespannten Wohnlagen werden wir daneben ein zeitlich befristetes Mietenmoratorium ein-
führen, das bedeutet: Mieten können für eine bestimmte Zeit nur im Rahmen der Inflationsrate
erhöht werden. Mietwucher werden wir wirksam unterbinden. Wir werden außerdem die Miet-
preisbremse entfristen und Schlupflöcher schließen. Das Instrument des qualifizierten Mietspie-
gels wollen wir bundesweit nach einheitlichen und damit rechtssicheren Kriterien ausgestalten
und seine Bedeutung stärken. Mietspiegel dürfen keine bloßen Neumietenspiegel sein. Deshalb
werden wir künftig mindestens die vertraglich vereinbarten Mieten der vergangenen acht Jahre
bei ihrer Aufstellung heranziehen.
Unsere Bodenpolitik wird am Gemeinwohl orientiert. Bund, Länder und Kommunen sollen öf-
fentliches Eigentum an Grundstücken sichern und vermehren, um die Spekulation mit Grund und
Boden zu stoppen. Dazu ist das Vorkaufsrecht für Kommunen zu fairen Preisen wichtig.
Wir werden dazu beitragen, dass kommunale Wohnbauflächen nicht veräußert werden, Flächen
zurückerworben werden und öffentliches Bauland nur auf dem Weg der Erbpacht für den Woh-
nungsbau zur Verfügung gestellt wird. Mit der Schaffung von Bodenfonds unter Einbeziehung
bundeseigener Grundstücke erhalten Kommunen ein Instrument für die nachhaltige Stadtent-
wicklung und bezahlbaren Wohnungsbau. Die Liegenschaftspolitik des Bundes wird sich auch in
Zukunft an städtebaulichen Prioritäten ausrichten und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum
in den Kommunen unterstützen. Wir werden die bislang nach einer Zehn-Jahres-Frist geltende
Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne nicht selbst genutzter Grundstücke abschaffen und einen
Planungswertausgleich einführen, um leistungslose Bodenwertgewinne der Allgemeinheit zu-
kommen zu lassen. Um die Spekulation mit Wohnraum einzudämmen, werden wir die Eigentü-
merstrukturen über ein zentrales Immobilienregister transparent machen.
Wohneigentum dient nicht nur der Versorgung mit Wohnraum, sondern auch der Vermögens-
und Alterssicherung. Um insbesondere jungen Familien den Weg zu den eigenen vier Wänden zu
erleichtern, werden wir in angespannten Wohnlagen den Erwerb von Genossenschaftsanteilen
erleichtern. Wir werden Mietkaufmodelle fördern und ein Programm „Jung-Kauft-Alt“ für den Er-
werb von Bestandsimmobilien insbesondere in vom Leerstand betroffenen Ortskernen auflegen.
Menschen, die in Obdachlosigkeit abgerutscht sind, müssen wir als Gesellschaft nachhaltig helfen.
Deshalb wollen wir eine flächendeckende Umsetzung von Housing-First-Konzepten in den Städ-
ten und Kommunen voranbringen. Die sehr hohen Erfolgsquoten dieser Projekte ermöglichen die
Rückkehr in die eigene Wohnung und damit ein Leben in Würde.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 38SPD-Parteivorstand 2021
Die Corona-Pandemie verstärkt die Strukturveränderungen in unseren Innenstädten und Stadt-
teilzentren. Das betrifft den Einzelhandel, die Gastronomie und das Hotelgewerbe ebenso wie
Museen, Theater, Büchereien und Kinos. Die gemeinsam mit den Ländern getragene Städtebau-
förderung sichern wir ab. Wir unterstützen die Städte dabei, die Innenstädte lebendig zu halten
und notwendige Nutzungsänderungen mitgestalten zu können, unter anderem durch eine Miet-
preisbegrenzung, einen Mieterschutz im Gewerbeimmobilienbereich, durch Konzepte zur Re-
vitalisierung von Standorten und die Förderung von Co-Working-Spaces in den Innenstädten. Ein
besonderes Augenmerk werden wir auf die Entwicklung im ländlichen Raum legen. Wir werden
generationenübergreifende, alternative und barrierefreie Wohnform en in Städten und Quartieren
fördern.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 39SPD-Parteivorstand 2021
3.7. Gut aufwachsen
Kinder und Jugendliche brauchen starke Familien. Sie brauchen Liebe, Zuwendung und viel ge-
meinsame Zeit. Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt davon ab, dass sich Menschen
für Kinder entscheiden und sie auf ihrem Weg in ein selbständiges Leben bestmöglich begleiten.
Die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Beruf ist für viele noch immer ein täglicher Spagat – hier
brauchen Eltern mehr Unterstützung. Das gilt zumal dann, wenn neben der Kindererziehung noch
Alltagshilfe oder Pflege für ältere Angehörige zu leisten ist.
In der Krise ist erneut deutlich geworden, dass Fürsorgearbeit überwiegend von Frauen geleistet
wird. Wir treten dafür an, dass Familien mehr Zeit füreinander haben, und dass es einfacher wird,
Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter zwischen allen Geschlechtern aufzuteilen, und Alleinerziehen-
de besser unterstützt werden.
Wir werden ein Vier-Säulen-Modell für mehr Familienzeit einführen. Die erste Säule sind zwei
Wochen Elternschaftszeit direkt nach Geburt eines Kindes, auf die jeder Vater bzw. der/die Part-
ner*in kurzfristig und sozial abgesichert Anspruch hat. Wir werden damit Familien mit Kindern in
ihrer allerersten Phase unterstützen und die Voraussetzungen für eine gerechtere Aufteilung von
Sorgeaufgaben schaffen.
Die zweite Säule ist die Familienarbeitszeit, mit der wir den derzeitigen Partnerschaftsbonus beim
ElterngeldPlus zu einer flexiblen, geförderten Elternteilzeit nach dem ersten Lebensjahr eines Kin-
des ausbauen werden. Wenn in Paarfamilien beide Elternteile gleichzeitig oder Alleinerziehende
etwas weniger als Vollzeit arbeiten, sollen sie zukünftig je zehn Monate ElterngeldPlus erhalten –
mindestens 200 und höchstens 900 Euro. Diese Leistung kann so lange genutzt werden, wie auch
der Anspruch auf Elternzeit gilt, also bis zum achten Geburtstag des Kindes. Denn auch jenseits
des Kleinkindalters brauchen Eltern Zeit für ihre Kinder, sei es bei der Einschulung, weil ein Umzug
ansteht oder ein Kind einfach mehr unterstützt werden muss als andere.
Die dritte Säule ist die dauerhafte Ausweitung der pandemiebedingt erhöhten Kinderkranken-
tage auf 20 Tage pro Kind, Jahr und Elternteil (als „Elterngeld akut“) - bei mehr als zwei Kindern
maximal 45 Tage pro Elternteil und 90 Tage für Alleinerziehende. Kinderkrankentage waren schon
vor Corona oft zu knapp - gerade bei jüngeren Kindern, die in den ersten Kita-Jahren häufig krank
werden. Darüber hinaus soll künftig auch anderer kurzzeitiger Betreuungsbedarf über das „Eltern-
geld akut“ organisiert werden können.
Unser Modell der Familienpflegezeit ist die vierte Säule. Wer Angehörige pflegt, soll dabei unter-
stützt werden, die Pflege mit Erwerbsarbeit zu kombinieren. Das bedeutet: 15 Monate Anspruch
auf Unterstützung (Lohnersatz) bei einer Arbeitszeitreduzierung für jeden nahen Angehörigen
ab Pflegegrad 2, auf mehrere Pflegepersonen aufteilbar mit einer Mindestarbeitszeit von 15 bis
20 Stunden. Wichtig ist, dass Unternehmen gezielt auch die Männer ermutigen, dieses Modell zu
nutzen.
Wir werden dafür sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft die
gleichen Chancen haben, das Bestmögliche aus ihrem Leben zu machen. Jedes Kind soll gut und
geborgen aufwachsen und alle jungen Menschen sollen gut ins Erwachsenenleben starten. Die
Unterstützung von Kindern und Familien in Deutschland ist vielfältig. Aber genau dort, wo sie be-
sonders gebraucht wird, kommt sie oft nicht an.
Wir haben deshalb ein Konzept der Kindergrundsicherung entwickelt, das aus zwei zentralen Be-
reichen besteht. Zum einen aus einer Infrastruktur, die gerechte Bildung und Teilhabe für alle Kin-
der ermöglicht. Sie beinhaltet gute und beitragsfreie Kitas, ein Ganztagsangebot für Schulkinder,
eine soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche und freie Fahrt in Bus und Bahn im Nahver-
kehr sowie ein Recht auf Mobilität vor allem für den ländlichen Raum. Die Kindergrundsicherung
besteht zum anderen aus einem neuen existenzsichernden, automatisch ausgezahlten Kindergeld,
das nach Einkommen der Familie gestaffelt ist – je höher der Unterstützungsbedarf, desto höher
das Kindergeld. Damit machen wir das Leben der Familien leichter, die es besonders schwer haben.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 40SPD-Parteivorstand 2021
Der monatliche Basisbetrag dieses neuen Kindergeldes wird bei zirka 250 Euro liegen. Der Höchst-
betrag wird sich an den Ausgaben von Familien mit mittleren Einkommen für Bildung und Teilha-
be orientieren und mindestens doppelt so hoch sein wie der Basisbetrag. Im Höchstbetrag sind das
sächliche Existenzminimum inklusive Wohnkostenpauschale sowie Bildungs- und Teilhabekosten
enthalten. Das neue Kindergeld ersetzt so den Kinderfreibetrag und bündelt bisherige Leistungen.
Junge Menschen in Ausbildung sollen durch direkte, elternunabhängige Auszahlung des neuen
Kindergeldes finanziell abgesichert werden - mit einem zusätzlichen, auskömmlichen Fördersatz
an BAföG obendrauf. Wir wollen Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien bündeln, die von
Krankheit oder Behinderung betroffen sind. Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Eltern
müssen einen einfachen Zugang zu Unterstützungsleistungen haben. Dafür sind weitere Schritte
notwendig. Der Kampf gegen Bildungsbenachteiligung muss in allen Systemen konsequent statt-
finden. Die erste Bildungseinrichtung im Leben eines Kindes ist heute die Kita. Deshalb werden wir
die frühkindliche Bildung weiter ausbauen.
Ohne bezahlbare Wohnheimangebote ist für viele Auszubildende und Studierende eine erfolgrei-
che Ausbildung nicht möglich. Wir werden sie ausbauen und zudem das Jugendwohnen im Rah-
men der Kinder- und Jugendhilfe zukünftig für junge Menschen bis 27 Jahre ermöglichen sowie
mehr Räume für Jugendarbeit schaffen.
Zur Unterstützung der beruflichen Orientierung und persönlichen Entwicklung, der Stärkung
des freiwilligen Engagements muss jeder junge Mensch nach Ende der Schulzeit die Möglichkeit
haben, sich für ein Jugendfreiwilligenjahr zu entscheiden. Wir werden einen Rechtsanspruch auf
Förderung aller Freiwilligendienst-Vereinbarungen für Unter-27-Jährige schaffen, beispielweise
im Freiwilligen Sozialen Jahr oder in internationalen Freiwilligendiensten. Das Freiwillige Soziale
Jahr Digital (FSJdigital) werden wir neu auflegen. Das Engagement in Jugendfreiwilligendiensten
muss für junge Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft möglich sein. Dafür soll es ein
bundesweit einheitliches Freiwilligengeld geben, das junge Menschen zusammen mit dem neuen
gestaffelten Kindergeld elternunabhängig absichert.
Wir werden starke Kinderrechte auf Schutz, Beteiligung und Förderung und den Vorrang des
Kindeswohls im Grundgesetz verankern. Wir werden das Wahlalter für junge Menschen auf 16
Jahre senken. Kinder und Jugendliche müssen auf allen Ebenen an politischen Prozessen betei-
ligt werden und einen Anspruch auf echte Beteiligung in kommunalen Jugendhilfeausschüssen
und Landesjugendhilfeausschüssen haben, die gesetzlich in den Kommunalverfassungen veran-
kert werden müssen. Jugendverbände und bestehende Beteiligungsstrukturen wie Jugendringe,
Kinder- und Jugendparlamente wollen wir dauerhaft und nachhaltig finanzieren und jedes neue
Gesetz einem Jugend-Check unterziehen.
Die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Jugend- und Auszubildenden-Vertretungen (JAV) werden
wir verbessern, indem ihr Vertretungsrecht auf alle Beschäftigten in Ausbildung ausgedehnt und
die Gründung einer JAV erleichtert wird.
Mit einem Bundesprogramm „Gemeindehaus 2.0“ werden wir aufbauend auf dem Netz der Mehr-
generationenhäuser noch mehr Angebote unter einem Dach bündeln: außerschulische Bildung,
Sport, Kultur und Jugendarbeit, Netzwerke für den Kinderschutz, barrierefreie digitale Infrastruk-
tur für alle Kinder und Jugendlichen, die sie für Bildung und gesellschaftliche Teilhabe benötigen.
Selbstbestimmte Räume für die Kinder- und Jugendarbeit müssen unabhängig davon erhalten
und ausgebaut werden. An Kinder gerichtete Werbung wollen wir reglementieren. Kitas und Schu-
len müssen ein werbefreier Raum sein.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 41SPD-Parteivorstand 2021
Ein gutes Ganztagangebot ist entscheidend für gleiche Chancen – und das muss für alle Kinder zur
Verfügung stehen. Ganztagsschulen sind Lern- und Lebensorte, wo gute Chancen für alle ermög-
licht und sichergestellt werden. Schule erreicht jedes Kind, unabhängig von seiner Herkunft. Der
Rechtsanspruch auf ein ganztägiges Bildungs- und Betreuungsangebot im Grundschulalter ist ein
wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und zudem für viele Eltern der notwendige nächste
Schritt in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf den sie dringend warten. Mehr als 70 Pro-
zent wünschen sich ein solches Angebot für ihre Kinder.
Durch die Einschränkung des Präsenzunterrichts während der Pandemie droht sich die Verbindung
von Bildungserfolg und Familienhintergrund zu verfestigen und Bildungsbenachteiligungen zu
verstärken. Aus diesem Grund starten wir die Bundesinitiative Chancengleichheit in der Bildung.
Durch ein Bundesprogramm für Schulsozialarbeit werden den Kommunen Mittel zur Förderung
von Chancenhelfern an jeder Schule bereitgestellt.
Der Grundsatz der gleichwertigen Lebensverhältnisse ist für uns bei der Weiterentwicklung der
Bund-Länder-Zusammenarbeit maßgebend, damit Kinder und Jugendliche aus wirtschaftlich be-
nachteiligten Familien nicht alleine gelassen werden. Die Mittel von Bund und Ländern müssen
durch die zusätzliche Einführung von Sozialkriterien da ankommen, wo sie am dringendsten ge-
braucht werden.
Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche sicher aufwachsen. Wir werden daher Strafrecht und Prä-
vention besser verbinden, um Kinder und Jugendliche wirksam zu schützen. Wir brauchen Schutz-
konzepte unter anderem mit Kinderschutzbeauftragten für Kitas, Schulen, Jugendhilfe-Einrichtun-
gen und Vereine und werden das durch vom Bund geförderte Pilotprojekte unterstützen. Darüber
hinaus werden wir unabhängige Ombudsstellen einrichten.
Wir werden Präventionsketten und Netzwerke für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen
schaffen, in denen Jugendhilfe und Gesundheitsdienst, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen,
öffentliche und freie Träger, Sportvereine und Verbände, Polizei und Familiengerichte auf kommu-
naler Ebene verbindlich zusammenwirken.
Schutzstandards für Kinder und Jugendliche müssen auch im digitalen Raum gelten, also auch
beim Schutz der persönlichen Integrität, vor sexueller Belästigung und Gewalt, bei Entwicklungs-
beeinträchtigungen und wirtschaftlicher Ausbeutung. Um die Belastungen für Kinder und Jugend-
liche vor allem in Kinderschutz- oder Familienrechtsverfahren so gering wie möglich zu halten,
setzen wir uns für eine kindersensible Justiz ein.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 42SPD-Parteivorstand 2021
3.8. Gleichstellung verwirklichen
Bei der großen Aufgabe der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde in den letzten Jahrzehn-
ten vieles erreicht, wenn auch lange noch nicht alles. Die Pandemie hat erneut die immer noch
ungleichen Chancen von Frauen und Männern gezeigt.
Wir wollen ein Jahrzehnt der Gleichstellung. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine
Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Sie ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche durch-
ziehen muss: Familienpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Bildungs- und Rechtspolitik – aber
auch Haushalts- und Finanzpolitik. Dies schließt eine geschlechtergerechte Haushaltssteuerung
mit ein. Wir wollen die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Be-
reichen bis 2030 erreichen. Dazu werden wir die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung zu
einem verbindlichen Fahrplan mit konkreten und wirksamen Maßnahmen für alle Politikbereiche
weiterentwickeln. Und wir kämpfen für die Umsetzung der EU-Gleichstellungsstrategie, das Lösen
der Blockade von Women on Board und die Paytransparency Richtlinie in der EU.
Gleichberechtigung ist auch eine Frage der politischen Repräsentation. Darum setzen wir uns für
Paritätsgesetze für den Bundestag, die Länder und Kommunen ein, damit alle Geschlechter in glei-
chem Maße an politischen Entscheidungen beteiligt sind.
Das Prinzip des gleichen Lohns für die gleiche und gleichwertige Arbeit muss gelten. Wir haben
per Gesetz dafür gesorgt, dass Arbeitnehmer*innen einen Auskunftsanspruch gegenüber ihrem
Arbeitgeber haben, damit sie herausfinden können, ob andere Kolleg*innen, die die gleiche Arbeit
machen, mehr Geld dafür bekommen. Das reicht aber nicht. Wir werden das Entgelttransparenz-
gesetz so weiterentwickeln, dass es Unternehmen und Verwaltungen verpflichtet, Löhne und
Gehälter im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit zu überprüfen und Verfahren festzulegen, mit
denen Ungleichheit bei der Entlohnung beseitigt wird, ohne dass sich Betroffene selbst darum
kümmern müssen. Wir werden eine entsprechende Regelung auch auf europäischer Ebene voran-
treiben.
Erfolgreiches Wirtschaften braucht geschlechterparitätische und kulturell vielfältige Arbeitsteams.
Das gilt selbstverständlich auch an den Unternehmensspitzen. Wir haben bisher eine Quote für
Aufsichtsräte eingeführt und geregelt, dass in größeren Vorständen von börsennotierten und
paritätisch mitbestimmten großen Unternehmen mindestens eine Frau vertreten sein muss. Wir
wollen, dass an der Spitze von Unternehmen und in den Führungsebenen darunter genauso viele
Frauen wie Männer vertreten sind. Dies werden wir auf alle börsennotierten oder mitbestimmten
Unternehmen ausweiten und wirksame Sanktionen einführen für alle, die sich nicht daran halten.
In Start-ups und den großen Tech-Unternehmen wird im buchstäblichen Sinne unsere Zukunft
programmiert. Frauen sollen daran einen relevanten Anteil haben. Der erste Mensch auf der Welt,
der eine Maschine programmiert hat, war eine Frau: Ada Lovelace.
Doch heute sind IT-Berufe in hohem Maße von Männern dominiert, und an der Spitze von Tech-
Unternehmen in Deutschland sind Frauen noch seltener vertreten als im Durchschnitt der Unter-
nehmen. Wir wollen, dass Mädchen und junge Frauen früh erfahren, dass Technik und Unterneh-
mensgründung etwas für sie sein kann und setzen uns weiterhin für die Förderung von Frauen
und Mädchen im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich (MINT) ein. Wir wollen einen
besseren Zugang für Frauen zu Gründungskapital und eine umfassende und koordinierte Förder-
strategie, um geschlechtsbezogene Barrieren insbesondere für digitalisierungsbezogene Unter-
nehmensgründungen abzubauen.
Wenn der Einsatz von Algorithmen, zum Beispiel bei der Personalrekrutierung, über das Leben
oder die Chancen von Menschen mitentscheidet, dürfen sie niemals diskriminieren. Wir wollen
verantwortungsvolle Künstliche Intelligenzen (KI) und Algorithmen, die vorurteilsfrei program-
miert sind und auf diskriminierungsfreien Datenlagen basieren. Dies soll regelmäßig geprüft und
zertifiziert werden.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 43SPD-Parteivorstand 2021
Dass jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners stirbt, ist erschüt-
ternd. Jede siebte Frau erlebt Belästigung oder Gewalt am Arbeitsplatz. Um Gewalt gegen Frauen
wirksam zu bekämpfen, werden wir die rechtlichen Grundlagen für eine wirksame Strafverfolgung
und die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutio-
nen verbessern. Entsprechend unserer Verpflichtungen aus der „Istanbul-Konvention“ werden wir
das Hilfesystem aus Beratungsstellen, Frauenhäusern und anderen Schutzeinrichtungen weiter-
entwickeln und die internationalen Vereinbarungen zum Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz (ILO
Konvention 190) umsetzen. Für von Gewalt betroffene Frauen führen wir einen Rechtsanspruch
auf Beratung und Schutz ein. Wir werden Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Femizide einrich-
ten – also zur Verfolgung von Morden an Frauen, die begangen wurden, weil sie Frauen sind und
setzen uns gesellschaftlich dafür ein, dass Femizide auch als solche benannt werden und nicht als
„Verbrechen aus Leidenschaft“ oder „Familientragödie“.
Paare, die sich für Kinder entscheiden, brauchen Versorgungssicherheit und die freie Wahl des Ge-
burtsortes. Ob nun stationär oder ambulant in der Klinik, im Geburtshaus oder in den eigenen vier
Wänden. Für eine gute Geburtsbegleitung ist ein Betreuungsschlüssel für Hebammen notwendig,
der eine Eins-zu-eins-Betreuung im Kreißsaal vorsieht. Daher muss auch die Geburtshilfe aus dem
System der „diagnosebezogenen Fallpauschalen“ entlassen werden. Zudem setzen wir uns für
eine leistungsgerechte Vergütung der freiberuflichen Hebammen ein, die ihre verantwortungsvol-
len Aufgaben umfassend berücksichtigt.
In der Familienplanung müssen Menschen selbstbestimmte Entscheidungen treffen können –
eigenständig, partnerschaftlich, und unabhängig vom Einkommen. Wir werden deshalb für einen
kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln sorgen und gezielt die Erforschung von Verhütungs-
methoden für Männer fördern.
Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch entschei-
den, brauchen Zugang zu Informationen und einer wohnortnahen, guten medizinischen Versor-
gung – das gilt ambulant wie stationär. Deshalb müssen Länder und Kommunen dafür sorgen,
dass Krankenhäuser, die öffentliche Mittel erhalten, Schwangerschaftsabbrüche als Grundversor-
gung anbieten. Wir erkennen die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen an
und wollen auch deshalb den Paragraphen 219a abschaffen. Zudem stellen wir in Hinblick auf die
Paragraphen 218 ff. fest: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.
In der Familie wird füreinander Verantwortung übernommen. Die Ehe ist und bleibt dafür attrak-
tiv. Deshalb haben wir die Ehe für alle durchgesetzt. Zugleich ist klar, Verantwortung hängt nicht
am Trauschein. Wir werden vielfältige Familienmodelle rechtlich absichern. Mit der Verantwor-
tungsgemeinschaft schaffen wir nach dem Vorbild des französischen „Pacte civil de solidarité
(PACS) eine Möglichkeit des füreinander Einstehens für alle, zu deren Lebenssituation das klas-
sische Ehe-Modell nicht passt. Mit der Verantwortungsgemeinschaft unterstützen wir beispiels-
weise Regenbogenfamilien zusätzlich darin, füreinander Sorge zu tragen und Verantwortung zu
übernehmen, wenn sich mehrere Menschen mit oder anstelle der biologischen Eltern um Kinder
kümmern.
Wir schaffen ein modernes Abstammungsrecht. Wir setzen uns ein für gleiche Rechte von gleich-
geschlechtlichen Partner*innen in der Ehe, insbesondere bei Adoptionen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 44SPD-Parteivorstand 2021
Kein Gericht sollte künftig mehr über die Anpassung des Personenstandes entscheiden. Psycholo-
gische Gutachten zur Feststellung der Geschlechtsidentität werden wir abschaffen. Jeder Mensch
sollte selbst über sein Leben bestimmen können. Wir wollen, dass trans-, inter- und nicht binä-
re Menschen im Recht gleich behandelt werden, deshalb werden wir das Transsexuellengesetz
reformieren. Das Diskriminierungsverbot wegen der geschlechtlichen und sexuellen Identität
werden wir in Art. 3 Abs. 3 GG aufnehmen. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Geschlechter und
Identitäten ist ein Gewinn für die ganze Gesellschaft. So können alte Rollen- und Denkmuster auf-
gebrochen werden. Wir setzen uns für die Anerkennung und Gleichstellung von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen, Trans-, Inter- und queeren Menschen (LSBTIQ*) ein. Wir setzen uns die rechtliche Ab-
sicherung von LSBTIQ*-Familien und Trans* und Inter*Personen zum Ziel.
Wir stellen uns konsequent gegen Diskriminierung und Gewalt. Wir werden einen nationalen Ak-
tionsplan gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie und Gewalt gegen LSBTIQ* einführen und uns
auf europäischer Ebene für die Ächtung solcher Diskriminierung einsetzen. Wir fördern den Kampf
gegen Gewalt und Diskriminierung, die sich gegen queere Menschen richtet - in Deutschland und
der Europäischen Union. Wir werden darauf hinwirken, dass die diskriminierende Richtlinie der
Bundesärztekammer zur Blutspende abgeschafft wird.
In unserer Gesellschaft soll das tägliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen
selbstverständlich werden. Menschen mit Behinderungen sollen bessere Chancen auf dem Ar-
beitsmarkt erhalten. Auch für sie gilt das Recht auf gute Arbeit. Das werden wir durch die Stärkung
der Schwerbehindertenvertretungen und die Weiterentwicklung der Ausgleichsabgabe unterstüt-
zen. Viele Menschen mit Behinderungen sind gut oder sogar sehr gut ausgebildet und in Zeiten
des Fachkräftemangels begehrte Arbeitskräfte. Wir setzen uns dafür ein, dass eine einheitliche
Ansprechstelle für Arbeitgeber*innen kleiner und mittlerer Unternehmen geschaffen wird, die bei
Fragen beispielsweise zu Barrierefreiheit oder Lohnzuschüssen berät.
Das gesellschaftliche Leben muss auf allen Ebenen für Menschen mit Behinderung inklusiv ge-
staltet werden. Dabei ist Barrierefreiheit unverzichtbar. Wir werden vor allem die Kommunen bei
dieser Aufgabe unterstützen. Der große Mangel an barrierefreien bzw. armen Wohnraum, porthal-
len und anderen Freizeiteinrichtungen muss behoben werden. Wir werden ein Bundesprogramm
Barrierefreiheit initiieren, das über entsprechende Ressourcen verfügen muss.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 45SPD-Parteivorstand 2021
3.9. Zusammen leben
Grundvoraussetzung für ein gemeinsames Leben in einer Gesellschaft des Respekts ist die Gewiss-
heit, dass man dazugehört, dass man unabhängig von einer familiären Migrationsbiografie akzep-
tiert ist und dazugehört.
Für Deutschland ist Migration nichts Unbekanntes. Unser Land hat stets Menschen aus anderen
Regionen aufgenommen – genauso wie auch Deutsche in anderen Ländern der Welt eine neue
Heimat gefunden haben. Das macht uns als Gesellschaft reicher und bringt uns voran. Unser Ziel
ist, dafür zu sorgen, dass diese Selbstverständlichkeit und das Zusammengehörigkeitsgefühl in
allen Bereichen der Gesellschaft sichtbar und spürbar werden.
Es geht darum, allen Bürger*innen zu garantieren, dass sie dieselben Chancen und Möglichkeiten
haben – frei von Diskriminierung. Dafür werden wir die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes stärken und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz modernisieren. Gleichzeitig wer-
den wir nachdrücklich gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus,
Islamfeindlichkeit, Antifeminismus, Sexismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit vorgehen. Ein besserer
Austausch und ein abgestimmtes Vorgehen, zum Beispiel durch die Schaffung einer Bund-Länder-
Kommission, ist ein wichtiger Schritt. Zudem müssen Straftaten in diesem Bereich konsequenter
erfasst und geahndet werden.
Integration ist eine permanente gesellschaftliche, wie auch staatliche Aufgabe. Wir möchten allen
Menschen, die neu zu uns kommen, den Anspruch auf Integrations- und Beteiligungsangebote ge-
währleisten. Für das Miteinander stärken wir die Integrations- und Sprachkurse für alle zugewan-
derten Menschen in Deutschland, zu denen sie – ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit und ihres
Aufenthaltsstatus – von Tag eins an Zugang haben sollen. Alle Kinder müssen unmittelbar die
Möglichkeit erhalten, eine Kita zu besuchen; auch die Schulpflicht gilt unmittelbar für alle Kinder.
Gut integrierten Menschen ohne gesicherten Aufenthalt wollen wir ein dauerhaftes Bleiberecht
ermöglichen. Familien gehören zusammen.
Auch die Integration klappt am besten mit der Familie. Die Regelungen für den Familiennachzug
zu subsidiär Schutzberechtigten wollen wir daher wieder an die für Flüchtlinge angleichen. Da-
bei werden wir auch Regelungen für den Geschwisternachzug zu unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen schaffen. Jeder, der bei uns lebt, soll das Recht haben, für seinen Lebensunterhalt zu
sorgen. Arbeitsverbote werden wir daher abschaffen.
Auch der Zustand von jahrelanger Kettenduldungen ist ein Integrationshemmnis und muss durch
Stichtagsregelung beendet werden, um Menschen eine Perspektive zu geben. Die zwangsweise
Rückführung von Menschen in Länder, in denen ihnen Gefahr für Leib und Leben droht, lehnen wir
ab.
Gleichwohl muss unsere Integrationsfähigkeit weit mehr als die Finanzierung von Sprach- und In-
tegrationskursen umfassen. Und es geht auch nicht nur um neu Zugezogene. Auch die Kinder und
Enkel der damals so genannten „Gastarbeiter*innen“ und Vertragsarbeiter*innen“ der 60er Jahre
erfahren noch heute Diskriminierung im Alltag.
Der öffentliche Dienst muss Vorbild in Sachen Integration sein. Im Sinne der Chancengleichheit ist
darauf zu achten, dass auch marginalisierte Personengruppen Zugang zu Stellen im öffentlichen
Dienst erhalten und dass es allen Beschäftigten gleichermaßen möglich ist, sich fortzubilden und
aufzusteigen. Wir brauchen darum neben zielgruppenspezifischen Formulierungen von Stellen-
ausschreibungen, Anerkennung von Vielfaltskompetenzen, Anerkennung von im Ausland erwor-
benen Qualifikationen sowie Entgeltgerechtigkeit auch ein Partizipations- und Integrationsgesetz,
das staatliche Institutionen zu einem Prozess der interkulturellen Öffnung verpflichtet.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 46SPD-Parteivorstand 2021
Unsere Gesellschaft des Respekts braucht ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Nachdem wir
bereits dafür gesorgt haben, dass grundsätzlich alle in Deutschland geborenen Kinder mit der
Geburt auch deutsche Staatsbürger*innen sind, werden wir auch die generelle Möglichkeit von
Mehrstaatigkeit gesetzlich verankern. Wir wollen bestehende Hürden bei Einbürgerungen ab-
schaffen und hierfür auch die geltende Regelaufenthaltsdauer von bisher acht Jahren verkürzen.
Für den Kampf gegen Rassismus in der deutschen Gesellschaft braucht es eine kritische Auseinan-
dersetzung mit unserer kolonialen Vergangenheit. Es gilt verantwortungsvoll mit unserer histori-
schen Schuld umzugehen.
Wir begrüßen das Engagement in den Religionsgemeinschaften und Kirchen. Den interreligiösen
Dialog und den Dialog von Religionen, Weltanschauungen und Kulturen werden wir weiter fördern
und verstärken. Wir begrüßen das Engagement von säkularen Initiativen der Zivilgesellschaft. Die
Religionsfreiheit ist fest im Grundgesetz verankert und wir schützen sie.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 47SPD-Parteivorstand 2021
3.10. Demokratie stärken
Demokratie ist verletzlich. Sie zu schützen ist erforderlich. Deshalb müssen wir unsere Demokratie
wehrhaft gegen ihre Feinde machen. Dabei hat sich die ausdifferenzierte föderale Sicherheits-
struktur bewährt. Wir werden sie weiter verbessern durch eine wirkungsvollere Zusammenarbeit
des Bundes mit den Ländern.
Demokratie ist die Basis einer Gesellschaft, die allen die Chance bietet, in Freiheit und Sicherheit
zu leben. Mit einem Demokratiefördergesetz werden wir Vereine, Projekte und Initiativen langfris-
tig fördern und sie besser wappnen gegen die Feinde unserer offenen Gesellschaft. Wir werden das
Bundesprogramm „Demokratie leben!“ weiter ausbauen und hierüber Präventionsprojekte auf
Bundes-, Landes und kommunaler Ebene fördern. Auch politische Bildung ist unverzichtbar. Dafür
setzen wir uns innerhalb und außerhalb der schulischen Bildung für verstärkten und einfacheren
Zugang zu politischen Bildungsmöglichkeiten und Demokratieförderung ein. Wir werden Arbeit-
nehmer*innen verstärkt in die Lage versetzen, ihren gesetzlichen Bildungsurlaub zu nutzen, um
sich einfacher für ihr ehrenamtliches Engagement freistellen zu lassen.
Millionen Bürger*innen engagieren sich ehrenamtlich in (Sport-)Vereinen, der freiwilligen Feuer-
wehr, Kirchen- und Religionsgemeinschaften, Tafeln, Frauennotrufen, Flüchtlingsorganisationen,
dem THW und anderen Organisationen. Mit ihrer Arbeit tragen sie dazu bei, dass unser Gemein-
wesen funktioniert. Dieses ehrenamtliche zivilgesellschaftliche Engagement ist für uns unverzicht-
bar. Wir werden es daher weiter unterstützen.
Sport hat eine zentrale Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für Inklu-
sion, Integration und gegen Diskriminierung. Breiten- und Leistungssport werden wir fördern. Wir
stehen als Sozialdemokraten*innen für einen Sport, der unsere Verfassungswerte auch in nationa-
len und internationalen Wettbewerben vorlebt. Wir werden auch in den kommenden Jahren den
Spitzensport fördern. Darüber hinaus verlieren wir die Belange und Sorgen unserer Vereine vor Ort
nicht aus dem Blick. Bund, Bundesländer und Kommunen sind gleichermaßen aufgefordert, die
Basis des Sports bei der Überwindung der pandemiebedingten Probleme in besonderer Weise zu
unterstützen.
Zu einer lebendigen Demokratie gehört eine starke Zivilgesellschaft und ein zeitgemäßes Gemein-
nützigkeitsrecht. Daher werden wir prüfen, welche weiteren gesellschaftspolitisch bedeutsamen
Bereiche in den Katalog gemeinnütziger Zwecke aufgenommen werden können und sicherstellen,
dass steuerbegünstigte Körperschaften wie Vereine bei der Verfolgung ihrer satzungsmäßigen
Zwecke auch politisch tätig sein können und z.B. der Aufruf eines Sportvereins zu einer Demons-
tration gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit möglich ist, ohne diese steuerliche Vergünsti-
gung zu verlieren.
Extremisten und Terroristen bedrohen unsere freie Gesellschaft. Um dieser erheblichen Gefahr
wirksam begegnen zu können, muss der Verfassungsschutz die Rolle eines demokratischen Früh-
warnsystems erfüllen. Verfassungsfeindliche Organisationen werden wir verbieten. Wo Religions-
freiheit missbraucht wird und in religiösen Fanatismus umschlägt, müssen staatliche Sicherheits-
behörden konsequent eingreifen. Mit aller Konsequenz und Härte werden wir weiter gegen Terror
und Gewalt vorgehen. Dafür haben wir die gesetzlichen Grundlagen geschaffen.
Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden oder auch bei der Bundeswehr bekämpfen wir kon-
sequent. Der Entstehung von rassistischen Denkmustern im Polizeialltag wirken wir durch die
Ermöglichung von mehr Supervision, Fort- und Weiterbildungen sowie guten Arbeitsbedingungen
entgegen. Wir unterstützen die Einrichtungen von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfol-
gung von Antisemitismus und Rassismus.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 48SPD-Parteivorstand 2021
3.11. Kultur fördern
Kultur ist lebensnotwendig, als Inspirationsquelle und Katalysator von Debatten. Viele Fragen, die
uns zurzeit bewegen, sind im Kern kulturpolitische Fragen. Wir erleben ja nicht nur die Bedrohung
des sozialen Zusammenhalts, sondern auch ein Schwinden des gemeinsamen Sinns und der ge-
meinsamen Wertegrundlage. Für eine Demokratie eine beunruhigende Entwicklung.
Angesichts der existentiellen Bedeutung von Kunst und Kultur müssen wir uns als Gesellschaft
darüber verständigen, was Kulturpolitik im 21. Jahrhundert leisten muss. Dafür wollen wir die
kulturpolitischen Spitzengespräche zu einem bundesweiten Kulturplenum weiterentwickeln, in
dem neben Kommunen, Ländern und Bund auch Kulturproduzent*innen, ihre Verbände und die
Zivilgesellschaft vertreten sind, um einen neuen Kulturkonsens über die Aufgaben und Verfahren
der Kulturpolitik, ein kulturelles Bündnis der Vielfalt und Freiheit zu erarbeiten. Wir wollen Kultur
als Staatsziel im Grundgesetz verankern.
Zur Förderung der Kultur müssen die bestehenden Infrastrukturen aufrechterhalten und die
Produktionsmöglichkeiten künstlerischer und kultureller Inhalte auch in der freien Szene gesi-
chert werden. Dazu werden wir die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstler*innen verstärkt
berücksichtigen. Zur besseren sozialen Sicherung von freischaffenden Künstler*innen werden wir
Mindestgagen und Ausstellungshonorare fest etablieren.
Wir wollen die Mittel bereitstellen, damit Kunst entstehen kann und Kultureinrichtungen allen
offenstehen, vom Theater bis zum Musikclub, vom Museum bis zum soziokulturellen Zentrum, von
der Bibliothek bis zur Musikschule. Eine entscheidende Aufgabe wird sein, die Kommunen auch
finanziell dauerhaft in die Lage zu versetzen, Kunst und Kultur aus eigener Kraft zu fördern. Wir
werden die Bundeskulturfonds ausbauen und Programme auflegen, mit denen kulturelle Freiräu-
me gesichert und entwickelt werden können. Wir werden die Rahmenbedingen auf den Märkten
für Kultur- und Kreativwirtschaft so gestalten, dass entsprechende Geschäfts- und Erlösmodelle
gestärkt werden.
Wir verbessern die Filmförderung durch die Filmförderanstalt (FFA), sichern mit der Novelle des
Filmfördergesetzes die Einnahmebasis des Filmschaffenden, unterstützen die internationale
Ausstrahlung deutscher Filme, bewahren das Filmerbe und gestalten die Entscheidungsgremien
effizienter. Wir wollen die Produktion von audiovisuellen Inhalten am Standort Deutschland
fördern, um so zukunftsfähige Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Eine nachhaltige
Finanzierungsbasis der Kinoförderung ist nötig, um Kinos erfolgreich in die Zukunft zu führen und
ihre regionale Präsenz als Kulturorte sicherzustellen. Wir werden Zukunftskonzepte für die Filmför-
derung mit der Film-Community entwickeln.
Games sind Kulturgut, Innovationsmotor und Wirtschaftsfaktor. Die Potentiale von Games in der
digitalen Bildung aber auch von eSports in Vereinen und Schulen werden jedoch noch unzurei-
chend genutzt. Die Förderung von Computerspielen wollen wir darum dauerhaft verankern. Wir
werden die Entwicklung von eSports in Deutschland weiter unterstützen, beispielsweise dadurch,
dass er gemeinnützig wird. Wir werden allen Bürger*innen den Zugang zu Kunst und Kultur er-
möglichen, unabhängig von Herkunft, Bildung, sozialer Lage und finanziellen Mittel. Wir werden
uns darum kümmern, dass sich Kultureinrichtungen weiter öffnen können. Wir werden die Vielfalt
in den kulturellen Einrichtungen stärken. Wir werden die Diversität und Geschlechtergerechtigkeit
auch in Führungspositionen, Gremien und Jurys ausbauen.
Teilhabe an Kunst und Kultur ist ein Schlüssel zu Selbstbewusstsein, Persönlichkeitsentwicklung,
Bildung und Integration. Wir werden sie auch durch Programme wie „Kultur macht stark“ nachhal-
tig als Teil schulischer und außerschulischer Bildung sichern.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 49SPD-Parteivorstand 2021
Wir werden die Digitalisierung von Mediatheken vorantreiben und unser kulturelles Erbe sichern
und besser zugänglich machen. Wir werden die Entwicklung des Digitalen als künstlerischen
Raum stärken und digitale Kunstprojekte fördern. Nicht zuletzt werden wir auch die Entwicklung
digitaler Kulturveranstaltungen und Erlösmodelle aktiv unterstützen. Kulturaustausch soll sowohl
die gesellschaftliche und künstlerische Zusammenarbeit in Europa als auch die europäischen
Werte wie Offenheit, Gleichheit, Freiheit und Humanismus betonen.
Kulturnetzwerke, Kulturplattformen und Kulturakteure sind Partner staatlichen Handelns. Der
gemeinsame Auftritt zum Beispiel des Goethe-Instituts und des Institut Francais zeigt, wie wir mit
unseren Werten und den uns gemeinsam herausfordernden Themen wie dem Kolonialismus um-
gehen können.
Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus stellen uns vor neue Heraus-
forderungen insbesondere in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der Shoa. Wir werden die
wissenschaftliche und gesichtsdidaktische Aufbereitung der Zeitzeugenberichte und des Quellen-
materials zur NS-Zeit besser unterstützen. Wir werden kleine Initiativen und Gedenkorte stärker
unterstützen und eingedenk des Versterbens von Zeitzeugen die Entwicklung neuer Formen der
Gedenkkultur fördern
Wir werden die Bundesstiftung Aufarbeitung stärken, damit auch das Engagement der Ausein-
andersetzung mit der SED-Diktatur landesweit mehr Unterstützung erhält. Wir unterstützen das
Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit.
Mit Blick auf die von Deutschen verübten Kolonialverbrechen werden wir auch bundespolitisch
die Entwicklung einer postkolonialen Erinnerungskultur fördern. Zu ihr gehören ein veränderter
Umgang mit kolonial belastetem Sammlungsgut in Museen. Herausragende Orte der Demokratie-
geschichte Deutschlands wollen wir auf Bundesebene fördern.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 50SPD-Parteivorstand 2021
3.12. Einander besser verstehen
Die neue Welt ist digital und medial. Deshalb sind digitale und mediale Teilhabe, Vielfalt, Chan-
cengleichheit und ein kommunikativer Pluralismus von grundlegender Bedeutung. Wir begreifen
Medienpolitik auf allen staatlichen Ebenen als Gesellschaftspolitik. Sie dient dazu, das offene
demokratische Gespräch unserer Gesellschaft zu stärken.
Wir setzen uns gesamtstaatlich für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein und unter-
stützen die Länder darin, den Auftrag in einer digitalen Medienwelt weiter zu entwickeln. Gerade
jetzt braucht es öffentlich-rechtliche Angebote, die eine umfassende und tiefgreifende journalisti-
sche Berichterstattung sicherstellen.
Wir werden die Rahmenbedingungen privatwirtschaftlichen Medienschaffens stärken und insbe-
sondere dort unterstützen, wo bundesrechtliche Fragen des Wettbewerbs-, Urheber- oder Tele-
kommunikationsrechts die Rahmenbedingungen privater Medienmärkte prägen. Den Verlagen
werden wir dabei helfen, die Transformation ins Digitale erfolgreich zu bewältigen. Wir werden die
Auskunfts- und Berichterstattungsrechte von Journalist*innen stärken. Wir werden Journalismus
im Gemeinnützigkeitsrecht verankern, so dass auch die Stiftungsfinanzierung möglich ist, ohne
dass damit marktwirtschaftliche Strukturen konterkariert werden.
Mit Sorge nehmen wir wahr, dass Journalist*innen und Medienunternehmen in vielen Teilen der
Welt zunehmend durch staatliche Institutionen und Amtsträger angegriffen, bedroht und in ihrer
Freiheit beeinträchtigt werden. In bilateralen Gesprächen und zwischenstaatlichen Zusammen-
schlüssen werden wir daher Initiativen für den Schutz der Pressefreiheit sowie der Arbeit von
Journalist*innen und Medienunternehmen verstärken.
Allen Bürger*innen in Deutschland eine mediale Teilhabe zu ermöglichen, ist eine gemeinsame
Verantwortung aller Medien sowie der öffentlichen Stellen. Wir wollen barrierefreie Angebote aus-
bauen und gemeinsam mit den Medienanbietern die Chancen der Digitalisierung und der techni-
schen Möglichkeiten auch hier nutzen.
Die Corona-Krise hat sehr deutlich gezeigt: Der Bedarf an digital verfügbaren Medien, Bildungs-
und Kulturinhalten ist groß. Wir setzen uns daher für eine stärkere Vernetzung und Zusammen-
arbeit zwischen den Akteuren ein, insbesondere aus den Bereichen Medien, Kultur und Bildung.
Medienkompetenz ist vor allem eine Demokratiekompetenz. Lernen, Arbeiten, Identitätsbildung,
Persönlichkeitsentwicklung und die Kommunikation mit anderen sind in unserem Alltag zuneh-
mend an soziale Medien gebunden. Dafür wollen wir die kreative Energie der Netzcommunity
mit der Qualität und Erfahrung der klassischen Medien zusammenbringen. Wir wollen Entwick-
lungsräume schaffen, in denen die digitale Transformation der Medienwelt gelingt, und diese mit
Bildungsangeboten verknüpfen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 51SPD-Parteivorstand 2021
3.13. Sicher leben
Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Wir werden dafür sorgen, dass dies so bleibt.
Denn wer von Kriminalität bedroht ist oder sich von ihr bedroht fühlt, handelt nicht mehr frei.
Durch vorbeugende Maßnahmen wollen wir verhindern, dass Bürger*innen Opfer von Kriminalität
werden. Gute Sozial-, Arbeitsmarkt-, Kinder-, Familien- und Integrationspolitik bilden die notwen-
dige Basis einer erfolgreichen Prävention.
Für mehr Sicherheit in Deutschland kommt es auf motivierte, gut ausgebildete und gut ausge-
stattete Polizist*innen an. Es ist unakzeptabel, dass Polizist*innen und Rettungsdienste wie auch
Behördenmitarbeiter*innen zunehmend angegriffen und beleidigt werden. Sie verdienen An-
erkennung und Respekt für ihre Arbeit. Das muss sich auch in einem modernen Dienstrecht, guten
Arbeitsbedingungen und in einer Angemessenen Bezahlung für Beamt*innen und Mitarbeiter*in-
nen der Polizei widerspiegeln. Bund und Länder müssen als attraktiver öffentlicher Dienst unterei-
nander wieder durchlässiger werden und gleichzeitig gegenüber der Wirtschaft wettbewerbsfähig
sein.
Wir bekämpfen organisierte Kriminalität, insbesondere den Menschenhandel, wie auch Drogen-
handel, bandenmäßige Wohnungseinbrüche und Wirtschaftskriminalität. Wir sorgen dafür, dass
die Herkunft von schmutzigem Geld einfacher nachweisbar wird. Notwendig sind kontinuierliche
und flächenübergreifende Strukturermittlungen der Länderpolizeien, der Bundespolizei und des
Zolls zusammen mit BKA und Europol.
Wir verbessern die Strukturen der Sicherheitsbehörden und sorgen für eine reibungslosere Verzah-
nung mit der Justiz. Auch hierfür ist es notwendig, dass wir den Pakt für den Rechtsstaat fortfüh-
ren. Bei begangenen Straftaten müssen Verfahren unmittelbar aufgenommen werden. Die Bestra-
fung muss schnell im Zusammenhang mit der Tat erfolgen.
In Gefängnissen sollen Täter*innen ihre Strafe verbüßen. Sie sollen immer auch Orte der Resozia-
lisierung sein. Mit den Bundesländern werden wir Maßnahmen zum Schutz vor Radikalisierung
und zur Deradikalisierung von Straftäter*innen voranbringen. Um gezielter vorbeugen zu können,
müssen wir mehr wissen über Kriminalitätsentwicklungen. Dafür werden wir den Periodischen
Sicherheitsbericht wieder regelmäßig erarbeiten lassen.
Wir haben in Deutschland ein leistungsfähiges Hilfesystem für Katastrophen. Ehrenamtliche
bilden gerade im ländlichen Raum das Herzstück dieser Strukturen. Wir werden dieses unverzicht-
bare Engagement weiter unterstützen.
Gleichzeitig zeigen sich hier neue wie bereits bekannte Herausforderungen: Cyberattacken, Des-
information und Terrorismus stellen erhebliche Bedrohungen dar, die schnell weite Teile Bevölke-
rung betreffen können. Wir sorgen dafür, dass Bund, Länder und Kommunen besser und schneller
Hand in Hand arbeiten können.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 52SPD-Parteivorstand 2021
3.14. Gesundheitsschutz, Jugendschutz und
Entkrimina lisierung bestimmen unsere Drogenpolitik
Wie Alkohol ist auch Cannabis eine gesellschaftliche Realität, mit der wir einen adäquaten politi-
schen Umgang finden müssen. Verbote und Kriminalisierung haben den Konsum nicht gesenkt,
sie stehen einer effektiven Suchtprävention und Jugendschutz entgegen und binden enorme Res-
sourcen bei Justiz und Polizei. Eine regulierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene soll in Modell-
projekten von Ländern und Kommunen erprobt werden können, begleitet durch Maßnahmen der
Prävention, Beratung und Behandlung im Jugendbereich. Zudem werden wir bundeseinheitlich
regeln, dass der Besitz kleiner Mengen von Cannabis strafrechtlich nicht mehr verfolgt wird.
3.15. Natur respektieren
Wir wollen unseren natürlichen Lebensraum erhalten. Dazu müssen wir raus aus der Wegwerfge-
sellschaft. Der Kreislaufwirtschaft gehört die Zukunft. Insbesondere die Verschmutzung der Meere
durch Plastik ist alarmierend. Wir müssen die zunehmende Plastikflut zurückdrängen. Das gelingt
nur, wenn wir unnötiges Plastik vermeiden und abschaffen. Dort, wo Einweg-Kunststoff nicht ver-
meidbar ist, werden wir umweltfreundliche und recycelbare Lösungen einfordern. Möglichst viel
Kunststoff muss aufbereitet und wiederverwendet werden. Wir wollen die Hersteller noch stärker
in die Pflicht nehmen. Produkte müssen so gestaltet werden, dass man sie wiederverwenden,
recyceln und auch reparieren kann.
Wir setzen uns ein für Biodiversitätspolitik, um Ökosysteme zu schützen und wiederherzustellen.
Eine besondere Rolle kommt dem Erhalt der Wälder zu. Ebenso wollen wir den Einsatz von Dün-
ger und Pestiziden reduzieren. Ohne leistungsstarke Kohlenstoffsenken kann Deutschland nicht
klimaneutral werden. Eine besondere Bedeutung fällt dabei Mooren und Wäldern zu. Bestehen-
de Moore müssen geschützt und trockengelegte Moore müssen im großen Stil wieder vernässt
werden. Wälder müssen an den Klimawandel angepasst werden, damit sie auch in Zukunft ihre
wichtige Rolle für den Klimaschutz und die Biodiversität erfüllen können.
Die Landwirtschaft hat bei der Bekämpfung des Klimawandels und dem Erhalt der Artenvielfalt
eine zentrale Rolle. Wir werden daher die Agrarförderung so ausrichten, dass eine umweltscho-
nende Landwirtschaft im Wettbewerb mithalten kann. Lebensmittel sind unsere Lebensgrund-
lage. Sie sollten auch den Landwirt*innen ihre Lebensgrundlage sichern. Dies geht nur mit fairen
Preisen für hochwertige Nahrungsmittel. Wir werden im Lebensmittelhandel unfairen Handels-
praktiken einen Riegel vorschieben, denn sie schaden Verbraucher*innen, Landwirt*innen und fair
handelnden Wettbewerbern. Wir setzen uns für anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen
der Beschäftigten in Land- und Fortwirtschaft ein. Wanderarbeiter*innen in Saisonbetrieben der
Landwirtschaft sind unverzichtbar für die Sicherung der Lebensmittelversorgung. Prekäre Arbeits-
und Lebensbedingungen von Wanderarbeitnehmer*innen werden wir bekämpfen.
Der Boden, als wichtigstes Gut in der Landwirtschaft, steht den selbst wirtschaftenden Betrieben
vor Ort zu. Er darf kein Spekulationsobjekt sein. Wir werden ihn vor Investoren ohne Agrarbezug
schützen.
Tierleid ist nicht zu rechtfertigen, auch nicht aus wirtschaftlichem Interesse. In der Nutztierhal-
tung setzen wir konsequent auf die Verbesserung des Tierwohls bei Einführung einer flächenbezo-
genen Obergrenze. Den Antibiotikaeinsatz werden wir reduzieren. Wir werden für die Einführung
eines verpflichtenden staatlichen Tierwohllabels mit nachvollziehbaren Regeln sorgen und den
Transport von lebenden Tieren auf acht Stunden begrenzen.
Für immer mehr Menschen ist die Qualität der Nahrungserzeugung und ihre Wirkung auf Umwelt
und Klima relevant. Unser Ziel ist es, gesunde und nachhaltige Ernährung für alle zu ermöglichen.
Wir wollen in staatlich finanzierten Einrichtungen eine den Standards der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung entsprechende gesundheitsfördernde Gemeinschaftsverpflegung umsetzen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 3Seite > 53SPD-Parteivorstand 2021
Um gegen Ernährungsarmut vorzugehen, soll sie für die Kita- und Schulverpflegung kostenlos
sein. Wir werden Verbraucher*innen die gesunde und nachhaltige Wahl erleichtern und dabei
auch die Wirtschaft in die Verantwortung nehmen. Um die Lebensmittelverschwendung einzu-
dämmen, werden wir es den Produzenten und dem Handel untersagen, genießbare Nahrungs-
mittel wegzuwerfen. Wir wollen den Wildwuchs an selbst kreierten Labeln von Unternehmen zur
Nachhaltigkeit ihrer Produkte beenden und ein verbindliches staatliches Label entwickeln. Wir
werden die Lebensmittelsicherheit durch mehr Kontrollen verbessern und es den Verbraucher*in-
nen durch die Einführung eines Hygienebarometers ermöglichen, sich über die Kontrollergebnisse
zu informieren. Wir bleiben beim Nein zu gentechnisch veränderten Pflanzen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 55SPD-Parteivorstand 2021
4.0. Souveränes Europa in der Welt
Die Einheit Europas ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Sie ist unsere gemeinsame Chance auf
eine bessere Zukunft im 21. Jahrhundert. Gleichzeitig stellt die Bewältigung der Corona-Pandemie
und ihrer Folgen die größte Herausforderung der Europäischen Union (EU) seit ihrer Gründung dar.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft haben wir dafür genutzt, einen solidarischeren und besseren
Weg zu gehen als bei der letzten großen Krise vor gut zehn Jahren. Die historischen Entscheidun-
gen zu dem größten Wiederaufbauprogramm in der Geschichte der Europäischen Union hätte es
ohne die SPD nicht gegeben. Ein Paradigmenwechsel deutscher Europapolitik.
4.1. Solidarität stärken
Wir werden aus der Krise gestärkt hervorgehen, wenn wir in Europa solidarisch zusammenhalten
und die EU für die großen Zukunftsaufgaben robuster und handlungsfähiger machen. Wir setzen
uns dafür ein, dass aus dem Wiederaufbaufonds und der in der Krise gestärkten europäischen So-
lidarität ein dauerhafter Integrationsfortschritt wird. Wir werden innere Handlungsblockaden der
EU abbauen und die äußere Handlungsautonomie fortentwickeln.
Nur mit einer solidarischen und souveränen EU sind wir in der Lage, die Welt von morgen mitzu-
gestalten und unserer Vision einer demokratischen, gerechten und nachhaltigen Zukunft näher zu
kommen. Unser Ziel ist es, Europa grundlegend zu stärken, damit wir in einer multipolaren Welt
unsere Eigenständigkeit und unsere Art zu leben, auch in Zukunft bewahren.
Mit unserer Politik in Europa wie in der Welt wollen wir die Agenda 2030 der Vereinten Nationen
umsetzen, in der sich die Völker der Welt zu einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft in Frieden,
Freiheit und gesellschaftlichem Zusammenhalt verpflichtet haben.
Ein solches Europa kann seinen Einfluss gleichermaßen zum Schutz und zur Stärkung europäischer
Werte und Interessen einbringen, als selbstbewusste Friedensmacht auftreten und so eine ko-
operative, multilaterale Weltordnung mitgestalten, die die Hoffnung auf ein gutes Leben für die
gesamte Menschheit wirklich macht.
Investitionen sind essentiell für eine nachhaltige europäische Zukunft. Wir werden den Stabilitäts-
und Wachstumspakt zu einem Nachhaltigkeitspakt weiterentwickeln. Statt einer Rückkehr zur
Kürzungspolitik der Vergangenheit bleiben wir bei der in der Corona-Krise begonnenen gemeinsa-
men Investitionspolitik Europas. Eine krisenfeste EU muss fiskalpolitisch handlungsfähig sein und
sich zu einer echten Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion weiterentwickeln.
Wir werden Staaten und Steuerzahler zukünftig wirksam vor Bankpleiten schützen. Zusammen
mit der Kapitalmarktunion soll durch die Vollendung der Bankenunion ein europäischer Kapital-
markt geschaffen werden, der die wettbewerbsfähige Finanzierung europäischer Unternehmen
sicherstellt. Weil zu gemeinsamen Ausgaben auch gemeinsame Einnahmen gehören, haben wir
die Grundlage für neue europäische Eigenmittel geschaffen.
Wir setzen uns dafür ein, die Finanzierung der EU dauerhaft gerechter und eigenständiger zu ge-
stalten. Wir werden für diesen bedeutenden Integrationsschritt die Besteuerung digitaler Groß-
konzerne, eine CO2-Grenzabgabe sowie neue Einnahmen aus dem Emissionshandel heranziehen.
Damit können auch Emissionen wirksam eingespart und gleiche Wettbewerbsbedingungen für
klimafreundliche Unternehmen hergestellt werden.
Wirtschaftliches Zusammenwachsen und die Herstellung von Steuergerechtigkeit sind für uns
zwei Seiten einer Medaille. Deshalb treten wir ein für die Überwindung des Einstimmigkeits-
prinzips in Steuerfragen und die Beendigung des Steuerdumpings zwischen den Mitgliedstaaten,
insbesondere im Bereich der Unternehmensbesteuerung.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 56SPD-Parteivorstand 2021
4.2. Sozial-ökologisch wirtschaften
Als weltweiter Technologieführer muss die EU auch in Zukunftssektoren unabhängiger von Dritten
sein. Wir werden die Entwicklung gemeinsamer Märkte und Infrastrukturen vorantreiben, strate-
gisch wichtige Zukunftstechnologien entwickeln und Schlüsselindustrien schützen.
Um Klimawandel, Artensterben und übermäßigem Rohstoffverbrauch entgegenzuwirken, muss
sich die Art und Weise, wie wir in Europa leben, konsumieren und produzieren grundlegend än-
dern. Um die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen, kommt dem
Energiesektor eine Schlüsselrolle zu. Wir müssen den Anteil erneuerbarer Energien enorm stei-
gern, den Energie-Mix weiter ausweiten und bestehende Abhängigkeit von fossilen Energieliefe-
rungen abbauen. Wir werden Europa bis spätestens 2050 zum ersten nachhaltigen und treibhaus-
gasneutralen Kontinent machen und eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels
einnehmen.
Auch die europäische Landwirtschaft als einer der größten Treibhausgasemittenten muss einen
Beitrag leisten, weg von der Flächenförderung, hin zu einer Förderung, die an Kriterien für Klima,
Natur- und Umweltschutz und Tierwohl gebunden ist.
In allen Handels-, Wirtschaftspartnerschafts- und Investitionsabkommen der EU werden zukünftig
neben verbindlichen sozialen Standards wie die ILO-Kernarbeitsnormen sowie menschenrechtli-
chen und ökologischen Standards auch konkrete Beschwerde- und Sanktionsmechanismen verein-
bart. Zudem sollen private Streitschlichtungsmechanismen abgeschafft und durch öffentliche Ge-
richte ersetzt werden. Wir wollen ein multinationales Investitionsgericht, das bei Diskriminierung,
sprich der ungleichen Behandlung zwischen Handelspartnern, eingreift. Die Rechte von Arbeitneh-
mer*innen, strengere Umweltgesetzgebungen, die Umsetzung internationaler Verpflichtungen
etwa beim Klimaschutz und Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge sind keine diskriminieren-
den Praktiken. Hier darf es keine Klagemöglichkeiten geben.
Das Abkommen zwischen der EU und dem MERCOSUR-Staatenbund ist ein wichtiges Projekt, um
die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika zu festi-
gen. Einem Abkommen ohne Stärkung der Umwelt-, Menschenrechts- und Sozialstandards durch
zusätzliche verbindliche und sanktionierbare Überprüfungs-, Umsetzungs- und Durchsetzungsme-
chanismen, werden wir aber nicht zustimmen.
Mit unserer Handelspolitik werden wir die sozial-ökologische Transformation unterstützen. Dafür
soll der Handel mit nachhaltigen Gütern besonders gefördert werden. Handelspolitische Maß-
nahmen auf einer werteorientierten Basis haben immer die Interessen der Partner mit im Blick,
insbesondere die der weniger entwickelten Länder. Deshalb werden wir auch insbesondere klein-
bäuerliche und agrarökologische Landwirtschaft fördern. Damit die Handelspolitik demokratischer
werden kann, werden wir die Kontroll- und Entscheidungsrechte des Europäischen Parlamentes
ausdehnen und Vertreter*innen von Gewerkschaften wie auch der Zivilgesellschaft besser als bis-
her an Verhandlungsprozessen beteiligen.
Die Pandemie hat die Verwundbarkeit unseres Gesundheitssystems offengelegt. Wir werden eine
souveräne Europäische Gesundheitsunion mit einer starken und widerstandsfähigen Gesundheits-
wirtschaft in Europa schaffen, indem wir Mindeststandards in der Gesundheitsversorgung garan-
tieren, einen starken Katastrophenschutzmechanismus etablieren und die gemeinsame Forschung
und Beschaffung wichtiger medizinischer Güter fördern. Um auf grenzüberschreitende Gesund-
heitsgefahren in Zukunft besser reagieren zu können, brauchen wir krisenfeste europäische Ge-
sundheitsbehörden, die mit weitreichenden Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet werden.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 57SPD-Parteivorstand 2021
Mit dem Ziel, die Arbeits- und Lebensbedingungen aller Europäer*innen zu verbessern und in
Richtung einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse weiterzuentwickeln, werden wir in den
kommenden Jahren konsequent die europäische Säule sozialer Rechte in die Praxis umsetzen. Alle
Arbeitnehmer*innen in Europa müssen von ihrer Arbeit gut leben können. Unser Ziel bleiben euro-
paweit Löhne, die zum Leben reichen, daher begrüßen wir den Vorschlag für einen Rechtsrahmen
für europäische Mindestlöhne.
Um die Eurozone vor ökonomischen Schocks zu schützen, treten wir ein für eine dauerhafte euro-
päische Arbeitslosenrückversicherung, die zudem sicherstellt, dass alle Mitgliedstaaten auch in
Zeiten schwerer wirtschaftlicher Krisen wichtige soziale Sicherungsfunktionen erfüllen können.
Um eine angemessene soziale Absicherung zu gewährleisten und Armut zu bekämpfen, setzen wir
uns für europäische Mindeststandards bei den nationalen Grundsicherungssystemen ein. Wichtig
ist uns insbesondere die Bekämpfung von Kinderarmut in Europa und daher die Umsetzung der
Europäischen Kindergarantie.
Wir werden die Rechte von Arbeitnehmer*innen weiter ausbauen, insbesondere durch die Stär-
kung europäischer Betriebsräte, durch Mitspracherechte in Organisation und Entscheidungen gro-
ßer Unternehmen sowie das Recht auf Kollektivmaßnahmen und Tarifverhandlungen. Die Durch-
setzung von geltendem Arbeitsrecht und Arbeitsschutz bei Saisonarbeitnehmern muss dringend
verbessert werden. Weil vielerorts gerade die Jugendarbeitslosigkeit zu einer der größten Heraus-
forderungen der Krise geworden ist, werden wir die europäische Jugendgarantie weiter stärken
und jungen Menschen eine Perspektive bieten. Das Ziel muss sein, verstärkt sozialversicherungs-
pflichtige und unbefristete Vollzeitstellen für Jugendliche und junge Erwachsene zu schaffen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 58SPD-Parteivorstand 2021
4.3. Demokratie erweitern
Wir werden die Demokratie in Europa stärken. Dass unsere europäische Wertegemeinschaft
zunehmend auf die Probe gestellt und populistische und nationalistische Regierungen die Un-
abhängigkeit der Justiz und grundlegende Rechte beschneiden, nehmen wir nicht hin. Der Schutz
von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in Europa bildet das Fundament für eine geeinte
europäische Zukunft. Dazu gehört eine Vervollständigung der Mitentscheidungsrechte des Euro-
päischen Parlaments, inklusive eines echten Initiativrechts. Wir werden ein gemeinsames Wahl-
recht zur Wahl der europäischen Volksvertretung schaffen.
Mit einem Sonderfonds für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit werden wir zivilgesellschaftliche
Zusammenarbeit gezielt fördern. Die Konferenz zur Zukunft Europas soll ein Erfolg werden. Wir
setzen uns dafür ein, dass sie in Deutschland und der ganzen EU eine breite Debatte zur europäi-
schen Demokratie und Handlungsfähigkeit initiiert und ihre Ergebnisse umgesetzt werden.
Durch den Rechtsstaatsdialog und Rechtsstaatsmechanismus haben wir Europa wehrhafter ge-
macht und konkrete Instrumente eingeführt, um die Einhaltung europäischer Grundwerte ver-
bindlich zu überprüfen und Verstöße zu sanktionieren. Wir werden uns für eine konsequente
Umsetzung und Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten einsetzen.
Desinformationskampagnen, Fake News und Hassreden stellen eine Bedrohung der Demokratie
dar. Wir setzen uns für europäische Regelungen ein, um strafbare Online-Hassreden effektiv zu
bekämpfen und werden europäische Frühwarnsysteme gegen Desinformationskampagnen aus-
bauen.
Wir stehen für eine humanitäre und solidarische Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Europäischen
Union. Deshalb werden wir ein funktionsfähiges Europäisches Asylsystem mit dem notwendigen
Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität voranbringen, das eine Reform des Dublin-
Systems hin zu einem solidarischen Verteilungsmechanismus beinhaltet und das Recht auf Asyl
vollumfänglich wahrt und gewährt. Das Asylsystem soll weiter europäisiert und das Europäische
Unterstützungsbüro für Asylfragen zu einer vollwertigen europäischen Asylagentur ausgebaut
werden.
Wir werden die Genfer Flüchtlingskonvention verteidigen. Pushbacks sind eine eklatante Verlet-
zung des Völkerrechts. Seenotrettung ist eine Verpflichtung aus dem internationalen Seerecht und
darf nicht kriminalisiert werden, sondern sollte auch staatlich durch die EU gewährleistet werden.
Im Rahmen eines umfassenden Ansatzes sollten legale Migrationswege geschaffen und die Ursa-
chen von Flucht und Vertreibung bekämpft werden. Wir werden eine Brücke zu lokalen Akteuren
bauen und die Aufnahmebereitschaft von europäischen Kommunen und Städten fördern und
unterstützen. Dies soll durch Bundeskontingente möglich gemacht und damit auch die Bereit-
schaft vieler Kommunen im Rahmen der Initiative „Sichere Häfen“ aufgegriffen werden. Zusätzlich
soll die Europäische Union ein Impfkontingent für
Geflüchtete einrichten.
Wir setzen uns ein für eine EU-weite Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarats als ver-
bindliche Rechtsnorm gegen Gewalt an Frauen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 59SPD-Parteivorstand 2021
4.4. Europäische Nachbarschaften pflegen
Wir setzen uns dafür ein, dass Europa eine Vorreiterrolle bei internationaler Krisenprävention,
Friedens- und Demokratieförderung sowie zum Schutz von Menschenrechten einnimmt. Europas
Verantwortung in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe werden wir durch
eine Erhöhung der EU-Mittel stärken.
Mehr Eigenständigkeit setzt höhere Handlungsfähigkeit voraus. Grundlegend dafür ist die Einfüh-
rung von Mehrheitsentscheiden in der Außenpolitik – statt des jetzigen Einstimmigkeitsprinzips.
Auch das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik sollte langfristig zu
einem EU-Außenminister weiterentwickelt werden. Wir wollen eine gemeinsame Ausrichtung
unserer globalen Entwicklungszusammenarbeit und deswegen unsere Kräfte in Europa bündeln.
Ein Europa, das geschlossen auftritt, trägt zur Belebung eines funktionierenden und kooperativen
Multilateralismus bei. Wir sind auf internationale Vertrauensnetzwerke angewiesen, so wie die
Allianz für Multilateralismus, die bereits wichtige Impulse für die Zusammenarbeit gesetzt hat.
Die NATO ist und bleibt ein tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft und für Europas
Sicherheit unverzichtbar. Parallel dazu muss die EU sicherheits- und verteidigungspolitisch eigen-
ständiger werden. Die europäische Zusammenarbeit werden wir ausbauen. Unser Ziel bleibt eine
europäische Armee als Teil der Friedensmacht Europa. Durch die Bündelung europäischer Rüs-
tungskooperation nutzen wir Synergien und sparen unnötige Mehrausgaben ein. Souverän muss
Europa neue Rüstungskontroll- und Abrüstungsinitiativen für den europäischen Kontinent entwi-
ckeln, um frühzeitig auf die Risiken neuer Technologien und gefährliche Entwicklungen im Cyber-
bereich oder im Weltraum reagieren zu können.
Die Nachbarschaft Europas im Süden wie im Osten ist durch Krisen sowie durch die wachsende
Einflussnahme anderer Staaten geprägt. Diese Herausforderungen muss die EU durch eine kon-
zeptionell neu ausgerichtete europäische Nachbarschaftspolitik angehen. Die Länder des West-
balkans werden wir integrieren. Die Partnerschaft zwischen Europa und Afrika wollen wir politisch
und wirtschaftlich deutlich ausbauen und auf ein neues Level der Zusammenarbeit heben.
Wir gehen auf die neue US-Regierung zu, die sich wieder verstärkt in der internationalen Zusam-
menarbeit einbringt. Wir brauchen nicht weniger als einen Neustart in den transatlantischen
Beziehungen. Wir werden die Partnerschaft zwischen Europa und den USA, die auf gemeinsamen
und demokratischen Werten beruht, grundsätzlich stärken und die Zusammenarbeit bei Themen
wie Klimaschutz, globaler Gesundheitspolitik, Handel, Abrüstung und Sicherheitsfragen intensi-
vieren.
Es ist im deutschen und europäischen Interesse, wenn wir mit Russland in Fragen der gemeinsa-
men Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle wie auch bei Klima, Nachhaltigkeit, Energie und
der Bekämpfung von Pandemien gemeinsame Fortschritte erreichen. Wir sehen jedoch auch, dass
Europas Beziehungen zu Russland immer wieder Rückschlägen ausgesetzt sind.
Ob die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die Unterstützung der Separatisten in der Ostukrai-
ne, Cyberangriffe auf den Deutschen Bundestag oder die Anwendung des international geächteten
chemischen Kampfstoffes Nowitschok zur Ausschaltung innenpolitischer Gegner: Russland bricht
regelmäßig internationales Recht und belastet damit die Beziehungen zu seinen Nachbarn. Wir
setzen, bei aller erforderlicher Kritik, auch bei Russland auf die Bereitschaft zum Dialog und zur Zu-
sammenarbeit. Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben. Wertvoll
in den Beziehungen zu Russland sind die zivilgesellschaftlichen Kontakte, die wir weiter fördern
und ausbauen wollen, auch durch Visaerleichterungen für den Austausch junger Menschen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 60SPD-Parteivorstand 2021
Basierend auf den Werten und Prinzipien der OSZE verfolgen wir daher das Ziel einer neuen
europäischen Ostpolitik, die den Fokus auf eine gemeinsame und kohärente EU-Politik gegenüber
Russland legt. Eine konstruktive Dialogbereitschaft seitens Russlands ist Voraussetzung, um am
Abbau von Spannungen zu arbeiten. Dazu zählt auch, dass der Weg zu einer friedlichen Lösung
des Ukrainekonflikts und damit einhergehend die Beendigung der Sanktionen maßgeblich von der
Umsetzung der Minsker Vereinbarungen abhängt.
Die wachsende Bedeutung Chinas in der Welt hat zur Folge, dass eine globale Antwort auf die öko-
nomischen, ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen unserer Zeit kaum ohne Pe-
king vorstellbar ist. Interessens- und Wertekonflikte mit China nehmen zu. Europa muss den Dia-
log mit China über Kooperation und Wettbewerb geschlossen, konstruktiv und kritisch führen. Die
gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber Minderheiten, insbesondere uigurischen
Muslimen, verurteilen wir. Für Honkong muss das international verbriefte Prinzip „Ein Land – zwei
Systeme“ gewahrt bleiben. Wir betrachten mit großer Sorge den wachsenden Druck auf Taiwan.
Wir unterstützen die Menschen in Belarus in ihrem Wunsch nach Demokratie und Freiheit. Gewalt
und Repression der Sicherheitskräfte müssen beendet, alle politischen Gefangenen freigelassen
und demokratische Neuwahlen unter der Aufsicht der OSZE durchgeführt werden.
Den innen- und außenpolitischen Kurs der türkischen Regierung betrachten wir mit Sorge. Die
Türkei muss rechtstaatliche, demokratische und völkerrechtliche Prinzipien einhalten. Eine Intensi-
vierung des EU-Türkei-Dialogs, der auch diese Fragen kritisch erörtert, ist dringend notwendig.
Israels Sicherheit und Existenzrecht ist Teil der Staatsräson Deutschlands. Auch aufgrund dieser
besonderen Verantwortung werden wir zusammen mit unseren europäischen Partnern und den
USA neue Initiativen zur Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses unterstützen. Auf Grund-
lage der Vereinbarungen von Oslo ist und bleibt für uns das Ziel die friedliche Koexistenz zweier
souveräner und lebensfähiger Staaten im Rahmen einer Verhandlungslösung.
Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und einigen Staaten in der Region sind er-
mutigende Signale, dass Fortschritte zum Frieden möglich sind. Einseitige Schritte von allen Seiten
erschweren die Friedensbemühungen und müssen unterbleiben. Von der palästinensischen Seite
fordern wir das Ende des Terrors. In den palästinensischen Gebieten sind auf allen Ebenen weite-
re demokratische Fortschritte nötig. Pläne zu Annexionen lehnen wir kategorisch ab. Es muss zu
einem Stopp des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus kommen.
Auch nach dem Brexit bleibt das Vereinigte Königreich ein enger Freund der EU. Die gemeinsa-
men Abkommen können das Fundament für eine umfassende Partnerschaft zwischen der EU und
Großbritannien sein. Auf der Basis des fairen Umgangs miteinander werden wir die Zusammen-
arbeit in Bereichen weiterentwickeln, die bisher nicht geregelt sind. Einen Wettlauf nach unten,
was Umweltstandards oder die Rechte von Arbeitnehmern und Verbrauchern angeht, darf es nicht
geben.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 61SPD-Parteivorstand 2021
4.5. Frieden sichern
Wie in keiner anderen Partei gehören in der Sozialdemokratie internationale Solidarität, die uni-
verselle Geltung der Menschenrechte, Frieden und Dialog von Beginn an zum Grundverständnis
unseres politischen Handelns.
Im Rahmen des Europarats werden wir die Grundwerte der Demokratie, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit schützen und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stärken. Ge-
richtsurteile müssen von allen Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt werden. Wir sind für einen
Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
Als die Friedenspartei in Deutschland setzen wir auf Diplomatie und Dialog, auf zivile Krisen-
prävention und Friedensförderung, auf Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie internationale
Zusammenarbeit. Wir werden multilaterales Handeln wiederbeleben und stärken, auch in Part-
nerschaft mit der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen, denn Pandemien, globale
Wirtschaft-, Finanz- und Entwicklungskrisen sowie die Folgen der Erderwärmung sind Herausfor-
derung, die nur gemeinsam gelöst werden können.
Der Kampf gegen den Klimawandel, der in vielen Ländern nicht nur die natürlichen Lebensgrund-
lagen, sondern auch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung bedroht, muss zum Ausgangs-
punkt von gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaften weltweit werden. „Keine und keinen
zurücklassen“ das ist unsere Messlatte, um Hunger und Armut weltweit zu überwinden.
Wir müssen die globale Erderwärmung auf weit unter zwei Grad halten und möglichst auf 1,5
Grad Celsius begrenzen. Dafür werden wir unsere eigenen Klimaschutzverpflichtungen gemäß des
Pariser Klimaabkommens einlösen und weiter steigern. Darüber hinaus werden wir die Länder des
Globalen Südens bei der Anpassung an den Klimawandel in ihrer nachhaltigen Entwicklung unter-
stützen.
Gute Arbeit und eine intakte Umwelt weltweit stärken gehört zur Kernaufgabe sozialdemokrati-
scher Politik. Wir tun das, indem wir von Unternehmen weltweit die Einhaltung menschenrechtli-
cher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten fordern. Es ist ein gro-
ßer Erfolg der SPD, dass ein nationales Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht werden konnte.
Wir werden es konsequent weiterentwickeln.
Nun wollen wir auch ein Gesetz zur Rückverfolgung auf dem Weltmarkt gehandelter Güter auf
europäischer Ebene verankern, mit verbindlichen und sanktionsbewehrten Regeln, Zugang zu Ge-
richten in Europa und Entschädigung der Opfer. Wir unterstützen ein VN-Abkommen zu Wirtschaft
und Menschenrechten, um Globalisierung im Sinne der Menschenrechte zu gestalten.
Arbeit darf weder arm noch krank machen.
Deshalb unterstützen wir mit den Gewerkschaften die Forderung, dass Arbeits- und Gesundheits-
schutz als Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aufgewertet werden.
Auch werden wir das Zusatzprotokoll zum Sozialpakt der Vereinten Nationen ratifizieren, um Be-
schwerdeverfahren zur Einhaltung der Rechte des Paktes zu ermöglichen.
Um Armut nachhaltig zu bekämpfen, setzen wir uns zudem für die Einrichtung eines globalen
Fonds für soziale Basisschutzsysteme ein.
Gesundheit ist ein globales öffentliches Gut. Diese Pandemie kann nur durch internationale Soli-
darität überwunden werden. Die Krise ist erst vorbei, wenn es global genügend Impfstoff gibt. Wir
setzen uns daher für die finanzielle und substanzielle Förderung der globalen Corona-Impfkampa-
gne der Weltgesundheitsorganisation (COVAX) ein. Unsere Schwerpunkte liegen auf dem Aus- und
Aufbau öffentlicher Gesundheitssysteme, der Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln und
Impfstoffen, mehr Transparenz sowie auf der gesundheitlichen Bildung und damit einhergehend
auf der Stärkung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte. Wir arbeiten auch daran,
dass die Weltgesundheitsorganisation WHO durch einen mutigen Reformprozess gestärkt wird.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 62SPD-Parteivorstand 2021
Wir setzen uns dafür ein, den Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit
(ODA-Quote) von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens einzuhalten. Davon
sollen 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die ärmsten Entwicklungsländer (LDCs) ver-
wendet werden.
Menschen, die durch Konflikte, Epidemien oder Naturkatastrophen in Not geraten sind, bedür-
fen unserer Hilfe. Als reiches Industrieland werden wir unser Engagement für humanitäre Hilfe
weiterhin an den steigenden humanitären Bedarfen orientieren und daran arbeiten, die Basis der
internationalen Geber zu stärken und auszuweiten. Darüber hinaus gilt für uns weiterhin: Flucht-
ursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete. Zusammen mit Partnerländern werden wir uns deshalb
dafür einsetzen, dass der Globale Pakt für Migration umfassend umgesetzt wird.
Internationale Steuerkooperation kann verhindern, dass Vermögen und Unternehmensgewinne
der Besteuerung entzogen werden. Darum brauchen wir ein globales Register für mehr Transpa-
renz. Global agierende Konzerne müssen sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen.
Dafür muss der weltweite Dumpingsteuerwettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern
beendet werden. Deshalb hat die SPD in der Bundesregierung das Konzept einer globalen Min-
destbesteuerung für Unternehmen entwickelt und internationale Verhandlungen hierzu initiiert.
Die neue US-Regierung hat sich nun hinter dieses Konzept gestellt. Wir werden diese historische
Chance für eine globale Steuerreform ergreifen. Wir werden den Aufbau einer globalen Steuerko-
ordinationsstelle bei der UN und die OECD in ihrem Kampf gegen Gewinnverkürzung und Gewinn-
verlagerung unterstützen. Unser Ziel ist es, Steueroasen trockenzulegen und gerechte Steuersyste-
me unter angemessener Beteiligung auch der Eliten im Globalen Süden zu fördern und fordern.
Deutschland ist wie kaum ein anderes Land auf offene Märkte und eine funktionsfähige sowie
regelbasierte globale Wirtschaft angewiesen. Unser Ziel ist es ein stabiles, faires und demokrati-
sches Handelssystem zu etablieren.
Wir werden die Instrumente der Handels- und Investitionspolitik modernisieren – vor allem mit
Blick auf Nachhaltigkeit und die Durchsetzung gemeinsamer multilateraler Regeln – und uns für
eine Stärkung der Welthandelsorganisation (WTO) einsetzen. Hierfür werden wir das Regelwerk
erweitern, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen einbeziehen sowie die Durchsetzungs-
möglichkeiten verbessern. Alle Instanzen des WTO-Streitschlichtungsmechanismus sollen wieder
beschlussfähig sein. Deshalb ist eine starke WTO mit einem modernen Regelwerk, das die nachhal-
tigen Entwicklungsbedürfnisse des Globalen Südens ebenso wie die des Nordens fair und partner-
schaftlich anerkennt und fördert, so wichtig.
Viele Länder befanden sich schon vor der Corona-Pandemie in einer Schuldenkrise, die jetzt noch
vergrößert wird. Zentrale Säulen der Entwicklungsfinanzierung sind zusammengebrochen und
Finanzströme ausgetrocknet. Das kurzfristige Aussetzen des Schuldendienstes im Rahmen der
G20 und des IWF brachte Erleichterung. Wir unterstützen eine Initiative für ein globales Staatenin-
solvenzverfahren, das staatliche und vor allem private Gläubiger miteinbezieht und das Schulden-
erlasse für besonders gefährdete Ländergruppen formuliert und umsetzt.
Die friedenspolitischen Herausforderungen nehmen zu. Gesundheitskrise, Klimawandel und Un-
gerechtigkeit verschärfen bestehende Konflikte und entfachen neue. Autonome Waffensysteme
senken die Schwelle für kriegerische Handlungen, Kernwaffen erleben ein Comeback, digitaler
Fortschritt macht uns verwundbar für Cyberangriffe. Dafür werden wir auf parlamentarischer
Ebene einen Mechanismus einrichten, durch den neue Programme, Gesetze, Vorhaben daraufhin
überprüft werden, ob sie friedenspolitischen Zielen widersprechen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 63SPD-Parteivorstand 2021
Bei der Entschärfung internationaler Krisen und der Vermittlung von Frieden nimmt Deutsch-
land schon jetzt eine weltweite Führungsrolle ein. Das werden wir weiter ausbauen, indem wir
das Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) stärken und ein hochprofessionelles Team
von Friedensemissären für das Führen von Verhandlungen aufbauen. Friedensprozesse sind nur
dann nachhaltig, wenn die Belange und Interessen von Frauen stärker berücksichtigt und wenn
sie an Aushandlungsprozessen beteiligt werden. Deshalb fordern wir, dass die VN-Resolution 1325
„Frauen, Frieden, Sicherheit“ konsequent umgesetzt und weiterentwickelt wird. Auch die VN-Frau-
enrechtskonvention muss konsequent angewandt werden. Es gilt auf allen Ebenen der Anti-Gen-
der-Bewegung entgegenzutreten.
Zur Sicherung des Friedens- und der Verteidigung leistet die Bundeswehr einen verantwortungs-
vollen Beitrag. Wir stehen für das Primat der Politik und für das Leitbild der Inneren Führung der
Soldat*innen als Staatsbürger*innen in Uniform. Für uns steht fest, dass wir nur mit einer gut aus-
gestatteten und modernen Bundeswehr unseren Aufgaben als zuverlässiger Partner in Europa und
der NATO gerecht werden können.
Unsere Soldat*innen können sich auf uns verlassen. Wir haben daher nach vielen Jahren immer
neuer Sparrunden die Investitionen im Verteidigungshaushalt erhöht. Unsere Soldat*innen verdie-
nen die bestmögliche Ausrüstung und den höchsten Grad an Ausbildung. Ausrüstung statt Auf-
rüstung - diesem Prinzip verpflichtet, haben wir wesentliche Beschaffungsvorhaben für die Bun-
deswehr vorangetrieben und setzen uns kontinuierlich für die Verbesserungen der persönlichen
Ausrüstung und sozialen Absicherung ein. Zugleich werden wir die Attraktivität des Dienstes in
der Bundeswehr weiter steigern. Wir stehen für den bestmöglichen Schutz unserer Soldat*innen.
Dazu gehört auch der Einsatz von Drohnen. Die Entscheidung, ob diese auch bewaffnet werden
sollen, kann verantwortbar erst nach einer umfassenden politischen und gesellschaftlichen Debat-
te und der sorgfältigen Würdigung aller Aspekte getroffen werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass unbemannte bewaffnete Drohnen international erfasst und in ein
internationales Regelwerk einbezogen werden, um dem Trend einer zeitlichen und räumlichen
Entgrenzung militärischer Gewalt ebenso entgegenzuwirken wie den Befürchtungen einer techno-
logischen und funktionalen Autonomie. Wie notwendig ein solches Regelwerk ist, hat nicht zuletzt
der massive Einsatz von bewaffneten Drohnen als Angriffswaffen im Krieg zwischen Aserbaid-
schan und Armenien und im Libyen-Konflikt gezeigt. Dieser Einsatz hat neue Fragen aufgeworfen,
die in einer umfassenden Debatte zu berücksichtigen sind. Vor der Entscheidung über ein Nach-
folgesystem des Kampfflugzeugs Tornado setzen wir uns für eine gewissenhafte, sachliche und
sorgfältige Erörterung der technischen nuklearen Teilhabe ein.
Eine Welt ohne Atomwaffen ist und bleibt das Ziel sozialdemokratischer Außenpolitik. Zu einer
abrüstungspolitischen Offensive gehört, dass bestehende Vereinbarungen über Rüstungskontrolle
und Abrüstung unbedingt gerettet sowie die Verpflichtungen aus dem Nuklearen Nichtverbrei-
tungsvertrag (NVV) umgesetzt werden. Wir brauchen reale Abrüstungsschritte. Mit der neuen
US-Administration gilt es, die Gespräche wiederaufzunehmen, wie eine vollständige Umsetzung
des internationalen Atomabkommens (JCPoA) mit dem Iran erfolgen kann.
Der im Rahmen der Vereinten Nationen beschlossene und inzwischen in Kraft getretene Atomwaf-
fenverbotsvertrag bringt eine weitere Dynamik in die Bemühungen für eine nuklearwaffenfreie
Welt. Deutschland sollte als Beobachter bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenver-
botsvertrags die Intentionen des Vertrages konstruktiv begleiten. Auch setzen wir uns ein für den
Beginn von Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur verifizierbaren, vollständigen Ab-
rüstung im substrategischen Bereich mit dem Ziel, die in Europa und in Deutschland stationierten
Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten. Wir werden zudem Rüstungskontrolle auch in
den Bereichen Biotechnologie, Cyber und Künstliche Intelligenz etablieren. Die Ächtung autono-
mer tödlicher Waffensysteme bleibt unser Ziel. Bei allen Bemühungen um Abrüstung muss stärker
als bisher auch China einbezogen werden.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 4Seite > 64SPD-Parteivorstand 2021
Für uns ist eine restriktive Rüstungsexportpolitik zentral. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die
Ausfuhr deutscher Rüstungsgüter in Staaten außerhalb von EU-, NATO- und denen gleichgestell-
ten Ländern weiter eingeschränkt, die Kontrolle über den endgültigen Verbleib der Waffen ausge-
weitet und absolute Ausnahmen nur im begründeten Einzelfall möglich sein werden – öffentlich
nachvollziehbar dokumentiert. Das soll in einem Rüstungsexportgesetz festgeschrieben werden.
Auch mit unseren europäischen Partnern werden wir eine Verschärfung der EU-Rüstungsexport-
vereinbarungen abstimmen. Für Staaten, die weder Mitglied der EU noch der NATO sind, ist eine
Ratifizierung des Vertrags über Waffenhandel (ATT) und dessen konsequente Umsetzung zwingen-
de Voraussetzung für jede Form der Rüstungskooperation.
Für uns ist die Unteilbarkeit und universelle Geltung der Menschenrechte nicht verhandelbar. Um
Menschenrechte durchzusetzen, müssen wir diejenigen schützen, die für sie eintreten. Wir werden
das im EU-Rahmen unter deutscher Ratspräsidentschaft geschaffene Menschenrechts-Sanktions-
regime konsequent nutzen. Dazu gehören Einreiseverbote und das Einfrieren von Konten. Auch
werden wir die Möglichkeiten der weltweiten Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzern
fördern und den Internationalen Strafgerichtshof stärken. Indem wir die mit Menschenrechten
befassten Institutionen des Bundestags und der Bundesregierung unterstützen und weiter aus-
bauen, stärken wir die Menschenrechtsarchitektur.
Alle unsere Anstrengungen können jedoch nur gelingen, wenn wir die Vereinten Nationen dar-
in unterstützen, ihren Auftrag der Friedenssicherung, Förderung nachhaltiger Entwicklung und
Wahrung der Menschenrechte zu erfüllen. Wir wissen: Reformen der Vereinten Nationen sind hier-
für dringend notwendig. Diese werden wir vorantreiben. Unser Ziel ist ein ständiger europäischer
Sitz und eine angemessene Repräsentanz des Globalen Südens im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen.
Das Zukunftsprogramm der SPD
Kapitel 5Seite > 65SPD-Parteivorstand 2021
5.0. Zukunft, Respekt und ein solidarisches Europa –
Leitgedanken für ein neues Jahrzehnt
In den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts entscheidet sich, welche Rolle Deutschland und Europa in
der Welt spielen werden. Mit unseren Zukunftsmissionen werden wir heute die Zukunft gestalten.
Wir wollen Vollbeschäftigung erreichen mit guter Arbeit und gerechten Löhnen.
Wir wollen Industrie- und Innovationsstandort bleiben, mit klimaneutralen Produkten und Tech-
nologien, einer modernen Mobilität weltweit Standards setzen und die Möglichkeiten der Digitali-
sierung basierend auf unseren Werten nutzen.
Wir wollen dafür sorgen, dass der erwirtschaftete Wohlstand allen Bürger*innen in unserem Land
ein gutes und sicheres Leben ermöglicht.
Wir wollen aus Träumen Zukunft machen. Wir wollen, dass alle Menschen ihre Wünsche verwirk-
lichen und ihre Ziele erreichen können. Am Anfang ihres Lebens, aber auch wenn sie bereits mitten
im Leben stehen. Mit gleicher Förderung vom Beginn eines Lebens an, und mit Möglichkeiten sich
zu entwickeln - ein Leben lang.
Wir wollen eine Gesellschaft, die inklusiv und solidarisch ist und allen Bürger*innen die Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben möglich macht. Ein moderner und starker Sozialstaat ist dafür die
Grundlage und begegnet allen Menschen mit dem Respekt, den sie verdienen.
Wir wollen respektvoll zusammenleben. Unsere Gesellschaft lebt von ihrer kulturellen Vielfalt,
Kreativität und Verschiedenheit. Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind die Grundlagen für
eine starke Gesellschaft, die Extremismus, politischem Hass und gesellschaftlicher Hetze den
Kampf ansagt und vor Kriminalität schützt.
Wir wollen Frieden sichern. Aus einer starken europäischen Gemeinschaft ziehen wir die Kraft
für eine gemeinsame Friedenspolitik, die Konflikte löst und Menschen über Grenzen zusammen-
bringt.
Wir wollen Verantwortung übernehmen. Wohlstand und Anstand dürfen keine Gegensätze sein.
Unser Lebensstandard darf nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruhen. Weder in
Deutschland noch in Europa oder anderen Regionen der Welt.
Dafür werben wir mit diesem Programm.
Unser Zukunftsprogramm
No Comments